Gesamtschule ist "Einzelmeinung"
ÖVP distanziert sich von Karl
Die ÖVP distanziert sich vom jüngsten Vorschlag von Parteikollegin Wissenschaftsministerin Beatrix Karl, eine gemeinsame Schule für Zehn- bis 14-Jährige einzuführen. Das sei die persönliche Meinung der Ministerin, so Parteichef Josef Pröll.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 20.5.2010
SPÖ-Schmied hocherfreut
Die SPÖ-Unterrichtsministerin ist schlichtweg begeistert. Es sei jetzt eindeutig formuliert: kein Numerus Clausus mehr mit neuneinhalb Jahren, keine Entscheidung mehr mit Noten aus dem Volksschulzeugnis, mehr Chancengleichheit für möglichst viele Kinder. Das sei ein Riesenschritt für die ÖVP in der Bildungsdiskussion, so Claudia Schmied.
ÖVP distanziert sich
Aber diese Zuversicht scheint unangebracht. Denn recht viel mehr Lob gibt es für Beatrix Karl heute nicht. Und vor allem nicht aus der eigenen Partei. Die schwarze Lehrergewerkschaft zum Beispiel, die tobt. Und schon lange waren nicht mehr so böse Worte gegen eine Parteifreundin zu hören. Von einem Skandal ist die Rede, und dass Karl überfordert sei und besser geschwiegen hätte.
Keine gemeinsame Schule
AHS-Lehrergewerkschafterin Eva Scholik meint, eine gemeinsame Schule löse die Probleme an den Schulen nicht. Die Aussage von Ministerin Karl sei eine Einzelmeinung. Die ÖVP, bzw. der ÖAAB stehe für ein differenziertes Schulsystem. Ein Bildungssystem sei dann gerecht, wenn es durchlässig sei, wenn Schüler in jede Schulart übertreten können für die sie eine Begabung haben und wo sie individuell gefördert werden können, so Scholik.
Pröll: Einzelmeinung
Von einer persönlichen Meinung der Wissenschaftsministerin spricht heute auch ihr Parteichef. Josef Pröll macht seinem Arbeitnehmerbund eindeutig die Mauer: der ÖAAB habe am Beginn dieser Woche ein Bildungskonzept vorgelegt, wo die Schule der Vielfalt, die Aufstiegsschule und die Sprachschule auch in Zukunft wesentliche Eckpunkte der ÖVP-Bildungslandschaft sein solle. Die Wissenschaftsministerin habe sich mit einem Vorschlag geäußert, der nicht der Vorschlag der ÖVP sei. Der Vorschlag werde jetzt in die Diskussion aufgenommen, man brauche aber noch Wochen und Monate um ein Gesamtkonzept zu entwickeln. Das heiße, so Pröll nachdrücklich, kein Schwenk in Richtung Gesamtschule, definitiv nicht.
ÖAAB: Weist in Vergangenheit
Und diese Worte freuen wiederum eben den ÖAAB, wie Generalsekretär Lukas Mandl unverhohlen zu erkennen gibt. Die Position der Ministerin sei eine krass isolierte Einzelposition, die aus Sicht des ÖAAB weit in die Vergangenheit weise. Hier gehe es um eine Systemdiskussion aus dem vergangen Jahrhundert, der ÖAAB wolle eine Inhaltsdiskussion für das neue Jahrhundert führen. Man diskutiere nicht über Strukturen, sondern darüber, was Kinder und Jugendliche bräuchten, so Mandl.
Der ÖAAB hat also zunächst wieder Oberwasser in der parteiinternen Bildungsdiskussion. Und die SPÖ-Unterrichtsministerin hat sich vorerst also wohl zu früh gefreut.
Kommentar: Stefan Kappacher, Ö1 Innenpolitik
Die ÖVP-Wissenschaftsministerin hat der gemeinsamen Schule der Zehn- bis Vierzehn-jährigen wieder ein neues Etikett verpasst. Den aus ideologischen Debatten abgenutzten Begriff Gesamtschule will schon lange niemand mehr hören, deshalb wird diese gemeinsame Schule als Neue Mittelschule umgesetzt. Nebenbei gesagt ziemlich erfolgreich. ÖVP-Ministerin Beatrix Karl spricht vom Gymnasium für alle, und sie meint damit nichts anderes als die Neue Mittelschule. Die ist von der SPÖ forciert worden, und in Teilen der ÖVP gibt es immer noch große Vorbehalte dagegen. Befürchtet wird wie eh und je Gleichmacherei und Bildungsabbau. Mit dem griffigen Slogan Gymnasium für alle nimmt Karl auf diese Bedenken Rücksicht.
Wie die Reaktionen aus der ÖVP zeigen, muss Karl noch mehr Überzeugungsarbeit in ihrer Partei leisten. Die ÖVP-dominierte Lehrer-Gewerkschaft schießt aus allen Rohren gegen sie, und der ÖAAB - dessen Generalsekretärin Karl pikanterweise bis vor kurzem war - ist nicht gut auf die Ministerin zu sprechen. Schließlich hat ÖAAB-Chef Spindelegger erst vor drei Tagen ein Bildungskonzept vorgelegt, dass die Hauptschule - als Aufstiegsschule verbrämt - festschreibt. Und damit auch die Weichenstellung nach der Volksschule, die aus Sicht sämtlicher Bildungsexperten überholt ist. Beatrix Karl hat das, wie viele andere in der ÖVP - nicht zuletzt in den Ländern - erkannt. Auch der Parteichef weiß das, doch heute hat sich Josef Pröll erst einmal hinter den ÖAAB gestellt, der sonst noch schlechter da stehen würde als ohnehin schon. Pröll muss seine Partei zusammenhalten, das ist klar. Aber er hat Karl nicht zurückgepfiffen. Auch das zählt.