Überraschender Rückzug Köhlers
Deutschland im Bann des Präsidentenrücktritts
In Deutschland beginnen nach dem Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler Sondierungsgespräche über mögliche Nachfolger. Köhler hatte gestern völlig überraschend sein Amt niedergelegt. Selbst Kanzlerin Angela Merkel war in die Überlegungen Köhlers nicht einbezogen.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 01.06.2010
Schelte der Medien
Die Kommentatoren der heutigen Morgenmedien gehen hart in Gericht mit dem zurückgetretenen Bundespräsidenten. Er hätte kurzfristig, hilflos und beleidigt agiert, als er nach Kritik an seinen Äußerungen alles hinwarf, schreibt die Westdeutsche Allgemeine, er hätte, wie es in der Süddeutschen heißt, nicht wie ein bedächtiger Präsident, sondern wie ein „Sponti als „Null- Bock- Horsti“ alles hingeworfen und damit, wie viele Kommentatoren übereinstimmend meinen, auch seinem Amt geschadet.
Merkel nicht informiert
So weit wollte die Bundeskanzlerin verständlicherweise nicht gehen, aber allein, wie sie im Fernsehen ihre Verblüffung über Horst Köhlers überraschenden Schritt schilderte, das sprach schon Bände. Denn sie selbst hatte auch erst unmittelbar vor seinem Rücktritt davon erfahren.
Angela Merkel dachte, die Bitte hätte vielleicht mit der gewaltsamen Schiffserstürmung vor Gaza zu tun, aber weit gefehlt.
Umstrittene Afghanistan-Äußerungen
Die Kritiker hätten sein Amt und seinen Ruf beschädigt, darauf hat Horst Köhler mit trotzigem Ingrimm beharrt, auch in seiner Rücktrittserklärung.
Aber die Kritiker hatten den Bundespräsidenten nur darauf hingewiesen, dass er sich auf heiklem Terrain bewegte, als er sinngemäß meinte, die Bundeswehr müsste auch für freie Handelswege eintreten, er sagte das in Afghanistan, und das brachte ihm den Vorwurf ein, er würden den Afghanistan-Einsatz als Wirtschaftskrieg sehen.
Suche nach neuem Präsidenten
Aber niemand hatte seinen Rücktritt gefordert, selbst Gregor Gysi von der Linkspartei meint, Rücktritt sei als Schritt doch übertrieben.
Aber jetzt ist es passiert, und im ohnedies stark krisengeschüttelten Berlin steht die nächste Herausforderung an. Wer soll ins Schloss Bellevue, den Amtssitz, einziehen? Namen machen die Runde, etwa Finanzminister Wolfgang Schäuble, der früher gerne gewollt hätte, jetzt aber wahrscheinlich nicht mehr. Auch Norbert Lammert, der Bundestagspräsident, wird als Kandidat gehandelt.
Nur über eins besteht grundsätzlicher Konsens: Der nächste Bundespräsident sollte langjähriger Berufspolitiker sein und nicht aus der Beamtensphäre stammen wie Horst Köhler. Denn Politiker, so heißt es hier, halten mehr aus, mehr als der beleidigte Horst Köhler, der das Schloss Bellevue quasi fluchtartig hinter sich gelassen hat.
Morgenjournal, 01.06.2010
"Köhler zu dünnhäutig", der deutsche Politologe Gero Neugebauer im Morgenjournal-Gespräch mit Christl Reiss