Wegen Afghanistan-Äußerung
Deutscher Bundespräsident tritt zurück
Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler hat in einem historisch einmaligen Schritt seinen Rücktritt erklärt. Hintergrund sind umstrittene Äußerungen des Staatsoberhaupts über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan.
8. April 2017, 21:58
Abendjournal, 31.05.2010
Die Unterstellung, er habe einen grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen befürwortet, entbehre jeder Rechtfertigung, sagte Köhler am Montag in Berlin. Das lasse den notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt vermissen.
Emotionale Erklärung
Köhler sagte, er habe Bundesratspräsident Jens Böhrnsen (SPD) über seinen Schritt informiert. Böhrnsen übernimmt vorübergehend die Amtsgeschäfte. Der Bundesrat ist die Länderkammer in Deutschland. Sein Präsident ist protokollarisch der zweite Mann im Staat.
Köhler sprach seine kurze Rücktrittserklärung in seinem Amtssitz Schloss Bellevue. An seiner Seite stand Ehefrau Eva Luise. Beim Verlesen der kurzen Erklärung standen dem Staatsoberhaupt Tränen in den Augen. Streckenweise versagte ihm die Stimme.
Heftige Reaktionen nach Wortmeldung
Köhler hatte Auslandseinsätze der Bundeswehr auch mit der Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen begründet und damit eine heftige Debatte ausgelöst. Später ließ er seine Äußerungen präzisieren. Ein Sprecher sagte in der vergangenen Woche, die Afghanistan-Mission sei nicht gemeint gewesen.
Merkel am Freitag keine Stellungnahme
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Freitag über eine Sprecherin deutlich gemacht, dass sie zu den Äußerungen Köhlers keine Stellung nehmen will. Im übrigen habe Köhler seine Äußerungen präzisieren lassen. "Und dem ist nichts hinzuzufügen."
Kanzlerin Merkel heute: "Ich bedauere den Rücktritt auf das Härteste."
Horst Köhler - "Präsident für alle". Ein Porträt.
Erst vor einem Jahr wurde der deutsche Bundespräsident Horst Köhler wiedergewählt - nun ist er völlig überraschend vom Amt zurückgetreten.
Präsident seit Mai 2004
"Ich möchte Bundespräsident aller Deutschen sein, und ein Präsident für alle Menschen, die hier leben", hatte Horst Köhler vor sechs Jahren bei seiner ersten Wahl verkündet. Am 23. Mai 2009 sprach die 13. Bundesversammlung in Berlin dem ehemaligen Banker das Vertrauen aus und wählte ihn für eine weitere Amtszeit im Schloss Bellevue wieder. Mit "Arbeit, Bildung, Integration" umschrieb Köhler in seiner Dankesrede vor einem Jahr umgehend Themen, die ihm und der Bevölkerung gleichermaßen wichtig erschienen.
Unabhängig von CDU
2004 kam mit Köhler erstmals ein Nicht-Politiker ins höchste Staatsamt. Anders als seine Vorgänger war er nicht in ein politisches Netzwerk eingebunden. Dies ließ ihn oft auch unabhängiger agieren. Denn der 1981 in die CDU eingetretene Köhler war nie Parteimensch. Auch wenn es für seine Kritiker den Anschein hatte, agierte er im Schloss Bellevue nicht als Statthalter der CDU. Mit öffentlichen Einlassungen zur Tagespolitik verärgerte er manches Mal auch Unions-Politiker. Recht bald nach seiner Wiederwahl wurde Köhler von Kritikern mangelnde Präsenz in der Öffentlichkeit vorgeworfen.
Keine typische Politikerkarriere
Dass der jetzt 67-Jährige, der mit seiner Frau Eva Luise zwei Kinder hat, einmal erster Mann im Staate werden würde, war nicht abzusehen. Köhler wurde am 22. Februar 1943 im damals von deutschen Truppen besetzten polnischen Skierbieszow geboren. Die Familie floh vor der Roten Armee, kam ins schwäbische Ludwigsburg. In Tübingen studierte Köhler Wirtschaft, promovierte, ging nach Bonn und stieg im Bundesfinanzministerium auf bis zum Staatssekretär. 1992 wechselte er an die Spitze des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, später zur Osteuropabank in London und im Mai 2000 als Direktor zum Internationalen Währungsfonds (IWF) nach Washington.
Bürgerliches Lager hinter Köhler
Dass er 2004 nominiert wurde, war Teil eines strategischen Plans. Als die Vorsitzenden von CDU und FDP, Angela Merkel und Guido Westerwelle, den damals weithin unbekannten Köhler nominierten, spekulierten sie auf eine schwarz-gelbe Koalition nach der Bundestagswahl. Köhler kam ins Amt, aber die Koalitionspläne gingen 2005 nicht auf. Auch 2009 stand das bürgerliche Lager hinter Köhler - Union, FDP und Freie Wähler aus Bayern.