Neue Stadien der Architekten gmp

Von Kapstadt nach Brasilia

Das Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner hat momentan 19 Stadion in vier Erdteilen gleichzeitig in Bau oder Planung: Stadien, die architektonische Solitäre darstellen und dennoch entwickelt wurden aus der Logik von Funktion, Konstruktion und Ortsbezug. Eine Ausstellung in München zeigt einen Überblick.

Kulturjournal, 01.06.2010

Ein Y als Brücke

Ein riesiger, mehr als hundert Meter in den Himmel ragender Bogen überspannt das Moses-Mabhida-Stadion in Durban - ein Bogen als konstruktives Element und Zeichen zugleich. Zum einen trägt er das Membrandach des Stadions, zum anderen fungiert er als gesellschaftliches Symbol. Wie der Regenbogen für den multiethnischen Staat Südafrika steht, so soll auch der sich zum Y spreizende Bogen, der das Y der südafrikanischen Nationalflagge zitiert, eine Art Brücke darstellen für die vielfarbige Bevölkerung Durbans.

Das Moses-Mabhida-Stadion am Strand des Indischen Ozeans ist, so wollten es auch die politisch Verantwortlichen, eine variable Sportarena - und zugleich ein weithin sichtbares Wahrzeichen der Metropole, eine beziehungsreiche Ikone in Durbans Stadtsilhouette.

Volkwin Marg vom deutschen Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner, das das Stadion entwarf - ein Meisterwerk an Eleganz, perfekt in das Stadtbild eingefügt -, spricht von "gebauter Zeichenhaftigkeit", in der Ästhetik, Funktion und Konstruktion eine unauflösliche Allianz eingehen: "Die Stadtväter von Durban in Südafrika wollen sich mit diesem Stadion für die Commonwealth-Spiele bewerben und für die Olympiade. Also brauchten sie etwas ganz Herausragendes, über die Fußballweltmeisterschaft Hinausgehendes. Und natürlich befinden wir uns jetzt in einer Akzeleration der Selbstbestätigung und Selbstübertrumpfung. Aber das freut mich natürlich als Architekt, denn das ist eine Herausforderung."

Erfolgreichste Stadienbauer weltweit

Das Moses-Mabhida-Stadion in Durban mag spektakulär sein, aber Spektakuläres um des Spektakels wegen, des Aufsehenerregenden und Effekthascherischen, ist nicht das Ziel von Gerkan, Marg und Partner, kurz gmp, die noch zwei weitere Fußballstadien in Südafrika bauten.

"Von Kapstadt nach Brasilia", so auch der Titel einer aktuellen Schau mit Stadionprojekten von Gerkan, Marg und Partner in der Münchner Pinakothek der Moderne und der Titel eines die Schau begleitenden Katalogbuchs, von Kapstadt nach Brasilia ziehen sich die Kreise des in vier Kontinenten aktiven, in Sachen Stadionbau erfolgreichsten Architekturbüros weltweit.

Was ist der Schlüssel dieses Erfolgs - und woran erkennt der Laie die Qualität eines Gerkan,-Marg-und-Partner-Baus? "Hoffentlich erkennt er die unglaubliche Vielzahl der Inszenierungen, die sich immer darin unterscheiden, für welchen Ort und in welcher Kultur sie gemacht sind", meint Marg. "Zweitens, ich hoffe, dass der Betrachter erkennt, dass hier architektonische Identität produziert wird, die nicht ein Markenzeichen für den Hersteller sind. Wir sind nicht Lacoste. Wir liefern keine Markenprodukte mit künstlerischem Alibi. Sondern wir inszenieren Identität mit der Ästhetik der Funktion und natürlich der Aussage für den Ort. Genau diese Vielfalt ist unsere Haltung."

Vier neue Stadien in Brasilien

Seit mehr als vierzig Jahren plant und baut gmp, gegründet 1965, Sportarenen, die meisten der mittlerweile 60 Projekte sind Projekte der jüngsten Vergangenheit. Gmp bauten für die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland das Berliner Olympiastadion um und errichteten Neubauten in Köln und in Frankfurt, letzterer, so Marg, ausgestattet mit dem größten Cabrio-Dach der Welt.

Für die übernächste WM in Brasilien sind Stadien in Brasilia, Sao Paulo, Manaus und Belo Horizonte in Planung, für die nächste Europameisterschaft Bauten in Warschau, Chorzow und Kiew, für die Panafrika-Spiele Arenen in Tripolis und Casablanca. Für Neu Dehli entwerfen sie ein Schwimmstadion, für Taschkent einen Sportpark, in Ljubljana entsteht das Joze Plecnik Stadion und im chinesischen Shenzhen ein neues Sportzentrum.

"Der derzeitige Boom von Stadien ist nicht darin begründet, dass man sich Sorge um das Volkswohl und die Volksgesundheit macht und den Sport", so Marg. "Es ist ausschließlich das Ergebnis einer gigantischen Eventindustrie, die das Bedürfnis der Massen gebraucht, um in einer Konsumgesellschaft für die Werbung und mit der Finanzierung durch die Werbung ein riesenhaftes Spektakel und damit ein Geschäft zu machen. Die UEFA genauso wie die FIFA sind gigantische Unternehmen, die tiefgestaffelt sind mit Einnahmen und Ausgaben. Und daran hängt eine gewaltige Unterhaltungsindustrie."

Die größten öffentlichen Versammlungsräume

Stadien, sagt Volkwin Marg, sind die modernen Kathedralen der säkularisierten Konsumgesellschaft. Sie sind die größten öffentlichen Versammlungsräume. Und, wie alle Architektur, als Inszenierung des gesellschaftlichen Lebens höchst politisch. Wollte man früher die Volksmassen mit Gladiatorenspielen unterhalten und kontrollieren, so ist es heute vor allem der Fußball, der dem Stadionbesucher und mehr noch dem Fernsehzuschauer Ablenkung, Triebabfuhr, aber auch Gemeinschaftserlebnisse beschert, und der massenmedialen Inszenierung dieses Sports haben nicht zuletzt auch die Arenen Rechnung zu tragen. Dennoch machten weder Städte noch Länder bei der Stadionarchitektur konkrete politische oder ästhetische Vorgaben.

"In keinem einzigen Fall sagt man, wie das aussehen soll, aber in jedem Fall sagt man, wir wollen die sehr spektakuläre Begegnung mit den Massen, wir wollen inszenierte Massen sehen, das ist ungeheuer populär und das homogenisiert die Massen, egal unter welchem Vorzeichen", so Marg. "In Südafrika ist es ungeheuer wichtig, dass man sich nicht über Differenzen definiert zwischen Schwarz, Weiß und indisch, über verschiedene Kulturstufen und über Arm und Reich. Man kann sich nur noch definieren über das, was einen einigt. Jetzt mache ich einen Sprung nach China. Die Olympiade war eine gigantische politische Veranstaltung zur Synchronisation des Zusammengehörigkeitsgefühls Chinas, das ja sonst leicht auseinanderdriftet, aber auch mit der Welt - egal, wie das Regime gestrickt ist."

Gegner der Signature Architecture

Architektur sei nicht freie, sondern Auftragskunst, sagt Volkwin Marg, einer der beiden Seniorchefs des größten deutschen Architekturbüros. Sie habe dem Ort, der Funktion, der jeweiligen kulturellen Identität Rechnung zu tragen. Ein Statement auch gegen Architektur als Design, gegen jene Signature Architecture, der es allein um das Bildhafte geht, die Ästhetik und architektonische Einmaligkeit vor Funktionalität stellt und den Gedanken der Nachhaltigkeit aus dem Blick verliert - wie beim Pekinger Vogelnest, dem Stadion von Ai Weiwei und Herzog/de Meuron, die für diesen Bau nicht weniger als 45.000 Tonnen Stahl verbrauchten, mehr als das Zehnfache dessen, was rein konstruktiv notwendig gewesen wäre.

Margs Credo dagegen heißt Ökonomie - und "rationale Wahrhaftigkeit": "Wir arbeiten mit Tragwerksplanern und mit Ingenieurskollegen zusammen, die in ihrem Herzen verkappte Architekten sind. D.h. mit Intelligenz aus weniger mehr zu machen, ist einfach ein ingeniöses Ethos. Niemals würden wir mit unsinnigem Aufwand wenig erreichen wollen. Aus diesem Grunde haben wir immer Konstruktionen, die auf die Minimierung des Aufwandes und die Maximierung der technischen Intelligenz setzen. Und sich gegen andere zu verwahren, das ist eine Frage des beruflichen Ethos."

"Aber es gibt noch Weiteres", ergänzt Marg. "Wir haben uns z.B. aus Dubai zurückgezogen, wo wir eine Sport City machen sollten. Als wir feststellten, dass am Schluss eine vulgäre Mischung aus Las Vegas und Miami zustande kommen sollte, die die Dummheit des europäischen Konsumbürgers befriedigen sollte oder des ägyptischen oder russischen, da haben wir uns angeekelt zurückgezogen und gesagt, nein, das machen wir nicht. Aber das ist mehr eine moralische Frage."

Lieber Segelboot als Fußball

Am 11. Juni beginnt die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika, zwei Tage später wird in Durban das Stadion mit dem riesigen Bogen eingeweiht, mit dem Spiel Deutschland gegen Australien.

Und wo wird sich in diesen Tagen Volkwin Marg aufhalten? Im Moses-Mabhida-Stadion, im Nelson-Mandela-Stadion in Port Elizabeth oder in Green Point in Kapstadt? In keinem seiner Stadien, sagt Marg, er sei kein Fußballfan, er geht lieber Segeln. Brüllende Massen nämlich, die sind dem sympathisch-uneitlen Architekten genauso unangenehm wie laute Architektur.