Patriotismusstreit vor der WM
Italiens Fußball-Team in Bedrängnis
Italiens Fußball-Nationalmannschaft fährt als Titelverteidiger nach Südafrika zur Fußball-WM. In der Vorbereitung hat die Mannschaft noch nicht überzeugt - und jetzt wird sie auch noch in politische Streitigkeiten hineingezogen.
8. April 2017, 21:58
Die Spannungen zwischen Nord und Süd haben nun auch den Fußball erreicht - Spannungen, die möglicherweise nur mit einem weiteren WM-Titel gelöst werden können. Für die in azurblauen Dressen spielenden Italiener wird es auf alle Fälle eine Himmelfahrtskommando.
Mittagsjournal, 08.06.2010
Nord gegen Süd: Brutalität
Hat er jetzt - oder hat er nicht? Ganz Italien blickt seit Tagen auf die Lippen von Claudio Marchisio, Mittelfeldspieler in der italienischen Fußball-Nationalmannschaft. Dass er gesungen hat, konnte man im Fernsehen klar und deutlich sehen, aber was hat er gesungen?
Lippenleser können bezeugen, dass Marchisio nicht von den Brüdern Italiens gesungen hat, wie es die Nationalhymne vorschreibt, sondern von Roma ladrona - vom räuberischen Rom. Dieser Ausdruck wird gerne von den Separatisten der Lega Nord verwendet, wenn sie gegen den Süden vom Leder ziehen. Süditaliener und Römer fordern den sofortigen Rauswurf Marchisios aus der Mannschaft. Nord gegen Süd - das ist Brutalität - nun auch im Fußball.
Fußball soll Land vereinen
Die Nationalmannschaft der Italiener hat in den Vorbereitungsspielen alles andere als geglänzt, gegen Mexiko wurden die Italiener vorgeführt wie unausgeschlafene Schulbuben. Niederlage, ein Unentschieden gegen die Schweiz - das Bangen um den Titelverteidiger hat bereits voll eingesetzt. Und jetzt müssen die Azzurris auch noch Kärrnerarbeit in Sachen Nationalbewusstsein verrichten.
Ein gutes Spiel ist längst zu wenig, die elf besten Kicker müssen ein Land zusammenhalten, das immer weniger zusammengehören will. Nächstes Jahr feiert Italien das 150-Jahr-Jubiläum der Einigung des Landes - und die Lega-Nord-Politiker glänzen schon jetzt durch Abwesenheit.
Trennlinien in Regierung
Am Tag der Republik letzte Woche fehlte Innenminister Roberto Maroni bei der Parade - er war wie immer am angeblichen Nationalfeiertag zu Hause in Padanien. Sein Partei-Kollege Roberto Calderoli - Minister für Verwaltungsvereinfachung und bekannt für sein eher einfaches Denken - legte in Sachen Fußball noch einmal nach. In Zeiten der Krise sollten die Prämien der Nationalspieler gekürzt werden, sagte der stramme Norditaliener - und handelte sich gleich eine Nachhilfestunde ein. Die Prämien zahlen nicht die Steuerzahler, sondern die FIFA, erklärte der Fußballverband.
Auch Staatspräsident Giorgio Napolitano zieht schon seit Tagen unermüdlich durchs Land und beschwört gebetsmühlenartig die Einheit des Landes. Unterdessen wird in Zeitungen schon vorsorglich die Herkunft jedes Nationalspielers angeführt. Mit Herkunft ist nicht der Verein gemeint, für den er spielt, sondern die Landesgegend. Nord oder Süd - das Verhältnis sollte ausgewogen sein, damit kein Verdacht aufkommt.
Nur neuer WM-Titel kann helfen
Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Wenn Claudio Marchisio tatsächlich Probleme hat, auch für Süditaliener Tore zu schießen, dann könnte er ja noch für die Nationalmannschaft Padaniens stürmen. Die hat am Sonntag ihren Titel bei der inoffiziellen Weltmeisterschaft der nicht-FIFA-Länder verteidigt. 1:0 im Finale gegen Kurdistan. Das Team der beiden Sizilien hat das Spiel um Platz drei gegen Okzidanien verloren.
Ob es gemeinsam in Südafrika besser laufen wird für die Italiener, darf bezweifelt werden. Aber wenn Italien Weltmeister wird - dann sind wieder alle Italiener - zumindest für kurze Zeit.