"Ich bereue es sehr"
Muehl entschuldigt sich bei Missbrauchsopfern
Das Wiener Leopold Museum widmet dem umstrittenen Skandalkünstler Otto Muehl zu seinem bevorstehenden 85. Geburtstag eine große Ausstellung. Nun hat sich Muehl überraschend in einem Brief für jene Taten entschuldigt, für die er 1991 zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 10.06.2010
Rudolf Leopold im Gespräch
Ausstellung im Leopold Museum
Das Wiener Leopold Museum widmet ab Freitag, 11. Juni 2010 Otto Mühl zu seinem 85. Geburtstag eine große Ausstellung. Eine heikle Sache, polarisiert doch der Maler und Aktionist Mühl nach wie vor. So hat bekanntlich sein utopisches Projekt "Friedrichshof-Kommune" im Burgenland als autoritäres System Demütigungen und sexuellen Missbrauch Minderjähriger ermöglicht. Mühl brachte das für knapp sieben Jahre in Gefängnis.
Die insofern heikle Schau spiegelt dabei den ganz persönlichen Blickwinkel auf die Malerei des Künstlers durch den Sammler Rudolf Leopold wider. Stattliche 240 Werke von Mühl hat er privat zusammengetragen. Das Mittagsjournal hat mit dessen Sohn Diethard, dem Kurator der Schau, einen Rundgang gemacht. Mehr dazu in unserem Audio.
Überraschende Entschuldigung
Überraschend hat sich der Künstler Otto Muehl (auch: Otto Mühl) wenige Tage vor seinem 85. Geburtstag (16. Juni) in einem Brief für jene Taten entschuldigt, für die er 1991 zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Die Tatsache, dass er zwar sechseinhalb Jahre in Haft verbracht hatte, sich aber nie öffentlich bei den Opfern entschuldigt hatte, war in der Diskussion um die Bewertung seines künstlerischen Werks wie seiner gesellschaftlichen Experimente immer wieder moniert worden. "Ich bereue es sehr", lautet die Kernaussage eines Briefes, den Muehl vor zwei Tagen an die Leiterin des Muehl Archivs, Daniele Roussel, geschrieben und den sie bei der Pressekonferenz zu einer Muehl-Ausstellung im Leopold Museum am Donnerstag, 10. Juni 2010 vorgelesen hat.
"Dass ich mich öffentlich entschuldige, mache ich heute, weil ich auf keinen Fall das Gefühl hinterlassen möchte, dass es mich kalt lässt, dass ich Menschen verletzt habe und dass sich Menschen von mir verletzt gefühlt haben", heißt es in dem Brief, dessen Verwendung er Roussel freigestellt hat.
Mittagsjournal, 10.06.2010
"In vielen Bereichern gescheitert"
Roussel hatte vor wenigen Tagen im MAK bei einer Podiumsdiskussion gesagt: "Ich glaube, dass Otto Muehl in vielen Bereichen gescheitert ist, und dass er es weiß." - "Ich glaube, du hast mich vollkommen verstanden, dass ich mich in einigen Sachen grundsätzlich geirrt habe", schrieb daraufhin der an Parkinson erkrankte Muehl aus Portugal seiner Vertrauten. "Ich habe als Künstler und, davon angestachelt, auch als Mensch Risiko auf mich genommen. Das Thema war äußerst empfindlich und schwierig und dadurch habe ich kräftig daneben gegriffen. Ich wollte sie befreien und habe sie mit sexueller Überschreitung stattdessen überrumpelt und gekränkt. Es war auf keinen Fall meine Absicht. Ich hoffe, dass sie mir verzeihen."
Der Aktionskünstler Otto Muehl hatte 1970 eine Kommune gegründet, die in den folgenden Jahren den Friedrichshof im Nordburgenland zu ihrem Zentrum ausbaute und zeitweilig mehrere hundert Mitglieder umfasste. Das Prinzip der freien Sexualität sollte die "schädliche" Zweier-Beziehung ersetzen. Mitte der 80er Jahre wurde auf der Kanarischen Insel La Gomera ein weiterer Stützpunkt geschaffen. Im November 1991 war Muehl in Eisenstadt wegen einer Reihe von Sittlichkeitsdelikten, allen voran Unzucht mit Unmündigen, sowie Verstößen gegen das Suchtgiftgesetz zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Im Dezember 1997 kam er aufgrund einer Amnestie frei.
Im Folgenden der Text (in Original-Schreibweise) jenes Briefes, den Otto Muehl (auch: Otto Mühl) am 8. Juni an Daniele Roussel geschrieben hat, und der im Leopold Museum verlesen wurde, im vollständigen Wortlaut.
Der Brief im Wortlaut
liebe daniele,
ich glaube, du hast mich vollkommen verstanden, dass ich mich in einigen sachen grundsätzlich geirrt habe. ich habe als künstler und, davon angestachelt, auch als mensch risiko auf mich genommen.
das thema war äusserst empfindlich und schwierig und dadurch habe ich kräftig daneben gegriffen.
plötzlich drehte sich die gesamte idee der kommune um. in den 80er jahren wurden wir so eine riesen-institution, und es wurde daraus ein staat im staat. die durch mich angekurbelte dynamik rutschte mir schließlich aus den händen. ich habe meine wirkung als sogenannter häuptling innerhalb der kommune unterschätzt. ich habe mit 7 jahren gefängnis bezahlt. ich habe es abgesessen.
dass ich mich öffentlich entschuldige, mache ich heute, weil ich auf keinen fall das gefühl hinterlassen möchte, dass es mich kalt lässt, dass ich menschen verletzt habe und dass sich menschen von mir verletzt gefühlt haben. ich bin auf alle kommunarden sehr gestanden. ich brauchte zeit, um zu verstehen, dass ich durch meine machtposition an den bedürfnissen meiner mitmenschen vorbei agierte, insbesondere an den bedürfnissen der jugend.
die stellungnahme der jugendlichen damals im gerichtssaal machte mich fassungslos. ich wollte sie befreien und habe sie mit sexueller überschreitung stattdessen überrumpelt und gekränkt. es war auf keinen fall meine absicht. ich hoffe, dass sie mir verzeihen.
ich gebe auch zu, dass ich manchmal zu den kindern der grosskommune, als übervater von 100 kindern wirkend, zu scharf war und schaden angerichtet habe, ohne bewusstsein über meine fehlentscheidungen. ich bereue es sehr. alles ist mir durch unser klein-experiment hier in portugal bewusst geworden.
liebe daniele, ich fühle mich durch dich gut vertreten. du kannst diesen brief einsetzen, wie du es für richtig hältst.
herzlichst
dein otto
Positive Reaktionen
Froh und erleichtert reagierten sowohl die Organisatoren der Muehl-Ausstellung im Leopold Museum als auch ein Vertreter der Initiative ehemaliger Mitglieder der Kommune Friedrichshof auf den Brief von Otto Muehl. "Wir sind sehr erfreut über diesen Brief. Das macht die Sache viel einfacher. Es war immer ein Problem, dass er sich zu seiner Schuld nicht bekannt hat", sagte Hans Schroeder-Rozelle, Vertreter der Gruppe re-port, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Öffentlichkeit über Muehl zu informieren, seiner "Mystifizierung" entgegenzuwirken und zu "verhindern, dass Muehls Verbrechen zur Kunst erklärt und ausgestellt werden".
Re-port hatte im Vorfeld mit dem Kurator der Ausstellung im Leopold Museum, dem Psychologen und Psychotherapeuten Diethard Leopold, zusammengearbeitet und dabei u.a. verhindert, dass im Zusammenhang mit den Verbrechen Muehls entstandene Bilder bzw. Bilder, auf denen Missbrauchsopfer zu sehen sind, gezeigt werden. Die Familie Leopold könne "sehr stolz sein", dass im Zusammenhang mit der jetzigen Ausstellung dieser Brief zustande gekommen sei, dennoch kritisierte Schroeder-Rozelle bei der Pressekonferenz, dass "die Kritik großteils auf die Homepage des Museums ausgelagert wurde". Schließlich sei die gezeigte Kunst in der Zeit der Kommune am Friedrichshof entstanden, wo Muehl "ein despotisches, demütigendes, unterdrückendes System" etabliert habe. Man habe erhebliche Bedenken gegen die Intention des Kurators, Leben und Werk von Muehl getrennt zu betrachten.
"Ein bewegendes Dokument"
"Ich stehe zur Trennung von Kunst und Leben", sagte Diethard Leopold, auch Muehl sei es letztlich nicht gelungen, diese Trennung aufzuheben. Man solle "die Bilder als Bilder ansehen und nicht als Illustration seines Lebens", so Leopold, der hofft, mit der Ausstellung "einen unbefangenen, freien Blick auf die Kunst" zu ermöglichen. Diethard zeigte sich ebenso wie seine Mutter Elisabeth Leopold "positiv überrascht" von dem Brief, der "ein bewegendes Dokument" sei.
Er betonte, man habe bewusst und ohne Notwendigkeit ("denn wir hatten die Bilder ja zur Hand") im Vorfeld Kontakt sowohl zu Roussel und dem noch bestehenden Kreis um Muehl als auch zu re-port gesucht und dabei "mediatorisch-allparteilich und nicht doppelzüngig" agiert: "Für alle Parteien ist dabei etwas herausgekommen."
"Ich freue mich unendlich über diesen Brief", sagte Elisabeth Leopold. "Es wird, wie wir hoffen, ein neuer Diskurs über dieses Werk möglich sein."