Sozialhilfeverbände kritisieren EU-Ziel

Mogelpackung Armutsbekämpfung

Europa will in den kommenden zehn Jahren die Armut zurückdrängen. Das ist eines der Ziele der Strategie EU-2020. Wie das passieren soll, diskutieren Betroffene und Hilfsorganisationen bei der 9. Armutskonferenz in Brüssel. Kritik kommt von Sozialhilfeverbänden. Sie bezeichnen das Vorhaben als Mogelpackung.

Mittagsjournal, 25.06.2010

20 Millionen wenige Arme

Das Ziel selbst klingt ambitioniert: Beim EU-Gipfel vergangene Woche haben die Staats- und Regierungschefs beschlossen, schlagkräftig gegen Armut vorzugehen. Im Jahr 2020 soll es um 20 Millionen weniger arme Menschen in der Europäischen Union geben. Die EU-Kommission macht Vorschläge, wie das erreicht werden kann und die Mitgliedsstaaten setzen diese um.

Mogelpackung

Die europäischen Sozialverbände aber applaudieren aber keineswegs. Für Conny Reuter, Präsident der europäischen Sozialverbände, hat Europa das Ziel "Armutsbekämpfung" verwässert: "Das ist eine Mogelpackung. Wir lasten es aber nicht der europäischen Kommission an, sondern wir müssen hier mit dem Finger auf bestimmte Mitgliedsstaaten zeigen. Es gab einen Vorschlag der Kommission, der aus der Statistik als Richtlinie 80 Millionen Arme annimmt. Einige Mitgliedsstaaten, wie etwa die Bundesrepublik Deutschland, waren heftigst gegen diese Berechnung. Der Kuhhandel war dann, dass man einfach die Armutsdefinition erweitert hat."

Neue Armutsdefinition

Es ist ein geschmackloses Zahlenspiel. Die EU-Kommission hat bisher Armut wie folgt definiert: Wer weniger als 60 Prozent vom Durchschnittseinkommen in Europa verdient, ist von Armut gefährdet. So galten bisher 80 Millionen Europäer als arm. Die Staats- und Regierungschefs haben nun ihre eigene Definition von Armut aufgestellt: Arm ist, wer weniger als 60 Prozent vom Durchschnittseinkommen verdient, wer materielle Not erlebt und Familien, wo es kein geregeltes Einkommen gibt. Damit wären 120 Millionen Europäer arm.

Mitgliedsstaaten blockieren

Ein Armutszeugnis, sagt Conny Reuter: "Das lernt man schon in der Grundschule: wenn man von 120 Millionen 20 weg nimmt, dann hat man noch 100 Millionen. Wenn man von 80 Millionen 20 weg nimmt, hat man nur noch 60 Millionen. Aus Sicht der Sozialverbände auf europäischer Ebene ist das durchaus enttäuschend. Und es zeigt deutlich das Problem der Mitgliedsstaaten: Immer dann, wenn auf sozialer Ebene eine Möglichkeit besteht, Fortschritte zu machen, dann blockieren die Mitgliedsstaaten. Besonders große Mitgliedsstaaten."

EU als soziale Gemeinschaft

Für Österreich bedeutet das EU-Ziel, dass jedes Jahr 26.000 Menschen in Problemlagen durch Beschäftigungsmaßnahmen unterstützt werden müssen um das EU-2020-Ziel zu erreichen.

Der Präsident der Europäischen Sozialverbände gibt sich dennoch versöhnlich. Die Europäische Union sieht sich nicht mehr nur als Wirtschaftsgemeinschaft sondern auch als soziale Gemeinschaft.