Entscheidung am Mittwoch

Deutschland vor Präsidentenwahl

Am Mittwoch stimmen in Berlin die Parlamentarier über den künftigen Bundespräsidenten ab. Die Wahl war notwendig geworden, nachdem der bisherige Amtsinhaber Horst Köhler überraschend seinen Rücktritt erklärt hatte. Und die Entscheidung dürfte diesmal spannend werden.

Mittagsjournal, 28.06.2010

Alle fiebern mit

Riesenbildschirme gibt es in Berlin zur Zeit in großer Zahl, sie stehen auf öffentlichen Plätzen, etwa auf der Fanmeile im Zentrum, und sie zeigen fast immer Fußball. Aber am Mittwoch werden vor dem Berliner Reichstagsgebäude Riesenbildschirme aufgestellt, die den Ablauf der Wahl des neuen Bundespräsidenten zeigen. Es ist das erste Mal, dass die Spannung vor einer Wahl dieser Art so groß ist, dass selbst das Publikum draußen vor dem Parlament mitfiebern kann. Denn der Regierungskandidat Christian Wulff hat einen sehr populären Konkurrenten, den früheren DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck. Es wählt zwar nicht das Volk, sondern die Bundesversammlung, aber spannend könnte es diesmal trotzdem werden, auch wenn der Regierungskandidat auf dem Papier über eine komfortable Mehrheit verfügt.

Wulff gegen Gauck

Nicht ganz einen Monat ist es her als, ein paar knappe Worte völlig überraschend von Berlin aus durch die Republik hallten: Horst Köhler hatte aufgegeben, nach Meinungsverschiedenheiten um ein Radiointerview. Er hätte noch vier Jahre seiner fünfjährigen Amtszeit vor sich gehabt. So müsste dann auch sehr schnell für die Nachfolge vorgesorgt werde, und da traf Angela Merkel eine Festlegung: Sie nominierte mit dem Koalitionspartner FDP gemeinsam Christian Wulff, den Regierungschef von Niedersachsen.

An sich ein untadliger Mann, mit 51 Jahren vielleicht noch etwa jung für das höchste Amt im Staat, aber als freundlich und nett bekannt. Ein Mann der traditionellen Parteiendemokratie und ihres Apparat, was nicht besonders aufgefallen wäre, wäre da nicht die Überraschung des Jahres gewesen, für die die Oppositionsparteien SPD und Grüne gemeinsam sorgten: Sie stellten Joachim Gauck auf, ehemaliger Pfarrer und Bürgerrechtskämpfer in der DDR, später der Verwalter der Akten des ehemaligen DDR- Geheimdienstes Stasi, ein Mann von 70 Jahren, mit ausgeprägter Rednergabe und dem Auftreten eines Visionärs.

Bundestag entscheidet

Seit Joachim Gauck auf dem Plan ist, ist es schwer geworden für Christian Wulff. Wenn er spricht, dann reichen seine Worte nicht an die Gauckschen Visionen heran.

Es gibt nun eine Art Wahlkampf zwischen Christian Wulff und Joachim Gauck, und das, obwohl die Präsidentenwahl in Deutschland nicht direkt Sache des Volkes ist. Es wählt die Bundeversammlung, die 622 Abgeordneten des Bundestages und dazu genau noch einmal so viele Ländervertreter, alle von Parteien ausgewählt. Rein rechnerisch hätte Christian Wulff dort eine satte Mehrheit. Aber einige Parteienvertreter liegen bei dieser Wahl nicht auf Linie, drei FDP-Abgeordnete aus Sachsen stimmen für Gauck statt für ihren Parteikandidaten Wulff, andere dürften folgen, und da die Wahl geheim ist, fällt das Abweichen von der Linie leichter.

Dritte Kandidatin: Luc Jochimsen

Jetzt könnte die Linkspartei eine wahlentscheidende Rolle spielen, aber sie wird das vermutlich nicht tun. Joachim Gauck gilt vielen in ihren Kreisen als Intimfeind, weil er Stasi-Verbindungen bis tief in die Partei hinein aufdeckte. Und so hat die Linke eine eigene Kandidatin aufgestellt, die frühere Fernsehjournalistin Luc Jochimsen. Sollte die Linke aber doch noch umschwenken, das könnte zum Beispiel in einem möglichen dritten Wahlgang geschehen, dann könnte Deutschlands nächster Bundespräsident Joachim Gauck heißen, und die Regierung von Angela Merkel wäre extrem geschwächt, die Kanzlerin vieleicht sogar rücktrittsreif.

Wie gesagt, wenn, dann - besonders wahrscheinlich ist das Szenario nicht, aber auszuschließen wagt es derzeit niemand in Berlins vielzitierten politischen Kreisen.