Das Projekt "Klänge der Erde"
Instrumente aus Müll
"Wer tagsüber Mozart spielt, wirft nachts keine Fensterscheiben ein". In diesem Sinne ist in Paraguay das Projekt "Sonidos de la Tierra" – "Klänge der Erde" - entstanden. Die Initiative bietet Straßenkindern die Möglichkeit, ein Instrument zu lernen und Teil einer Gemeinschaft zu werden: dem Orchester.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 29.06.2010
Generalprobe. Die Musiker zwischen 14 und 19 Jahren kommen aus Paraguay. Gerade bereiten sie sich für ihr nächstes Konzert vor, das diesmal in Berlin stattfindet. Ihre Instrumente klingen zwar fast wie eine normale Geige, ein normaler Kontrabass, eine herkömmliche Flöte. Doch was dem Betrachter hier in schillernden Farben entgegenleuchtet, sind Instrumente aus bunt zusammengestelltem Müll. Und dass der Phantasie dabei keine Grenzen gesetzt sind, erzählen die jungen Musiker:
"Ich spiele die paraguayische Harfe, und die Trommel, die ist aus Holz gemacht, das in den Müll geworfen wurde und einem Röntgenbild." - "Meine Geige besteht aus einem alten Topf und einer Gabel." - "Die Flöte ist eine alte Regenrinne, und als Griffe benutze ich Münzen."
Kontrabass aus Blech
Der 16-jährige Mauro Figueredo stieß auf Schwierigkeiten, mit seinem Kontrabass durch die Flughafenkontrollen zu kommen. "Er besteht aus einem Fass, das für chemische Produkte verwendet wurde. Am Flughafen machten die mir Riesen-Probleme, weil die dachten, das könnte man anzünden, oder es sei eine Bombe. Der Kontrabass besteht außerdem aus einem Tischbein und einem Besenstiel. Das einzig Echte sind die Saiten. Der Körper ist aus Blech."
Von der Straße ins Orchester
"Sonidos de la Tierra" – "Klänge der Erde" - nennt sich das Projekt, in dessen Rahmen die Jugendlichen ihre Instrumente spielen lernten. Luis Szarán, international ausgezeichneter Dirigent und Leiter des Symphonieorchesters von Paraguays Hauptstadt Asunción, rief 2002 das Hilfsprojekt ins Leben. "Sonidos de la Tierra" bietet sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, ein Instrument zu lernen. Es erreicht die Ärmsten der Armen, so auch viele Straßenkinder.
"20 Prozent der Schüler des Projekts haben auf der Straße gelebt, also entweder auf der Straße oder in sehr ärmlichen Gebieten auf dem Land", erklärt der "Maestro", wie der 56-jährige Luis Szarán von seinen Schülern respektvoll genannt wird. 12.000 Kinder und Jugendliche seien inzwischen in das Projekt involviert, jedes mit einem Instrument in seinen Händen. Die Vorbilder lägen in Costa Rica und Venezuela, sagt Luis Szarán:
"Diese Musikbewegung der Jugendorquester hat in Costa Rica in den 70er Jahren begonnen. Eine Bewegung, die leider nicht lange dort anhielt. Aber die Idee wurde von José Abreu in Venezuela aufgenommen, der weltweit das erfolgreichste Projekt dieser Art entwickelte. Eines unserer Programme heißt 'Musikschule auf Rädern'."
Erste Lektionen
Die "Musikschule auf Rädern" hat in Paraguay ein Projekt angekurbelt, das zum Selbstläufer wurde: Eltern und Schüler sollten sich selber überlegen, wie sie in ihren Gemeinden Geld für Instrumente sammeln. Sie gründeten Initiativen, veranstalteten Basare. Auch die Idee, Instrumente aus Müll zu basteln, sei in Paraguay entstanden.
"An einem Ort im Land hatten die Leute weder das Geld noch die Zeit", so Szarán. "Es sind Leute, die schlicht vom Müll leben. Und sie konnten nicht erfüllen, was das Programm von ihnen forderte. Ein Vater fand einen alten Topf und machte eine Art Geige daraus und brachte sie uns mit: Am Anfang lachten wir, doch dann probierten wir das Instrument aus und merkten, dass ein Kind auf jeden Fall in Würde seine ersten Lektionen auf diesem Instrument lernen könnte."
Erfolgsquote 50 Prozent
Die Erfolgsquote bei den aufgelesenen Straßenkindern, die bei "Sonidos de la tierra" blieben und ein Instrument lernten, läge bei etwa 50 Prozent. Nicht alle ergriffen den Beruf eines Musikers. Doch zumindest würden sie ins Leben zurückgeführt, beendeten die Schule und gingen einer Arbeit nach. Szarán nennt exemplarisch den Fall zweier Brüder:
"Es gab zwei Brüder, der Vater Alkoholiker, der die Mutter verprügelte. Eines Tages sagte der Ältere von acht Jahren zum Jüngeren von sechs Jahren: 'Ich halte es nicht mehr aus, lass uns auf die Straße gehen.' Und sie ziehen los. Wir haben den Älteren kennengelernt, als er 14 war. Sie hatten schon alles durchgemacht. Erst gebettelt, dann geklaut, und der Ältere schließlich Drogen verkauft. Der 12-Jährige wollte gerettet werden, der Ältere war schon ziemlich hinüber. Der Jüngere ist nun Geigenlehrer. Der 14-Jährige wurde in einem dieser Bandenkriege umgebracht."
Die Gruppe von Jugendlichen, die gerade durch Deutschland tourt, gehöre zu den talentiertesten. Sie alle wollen von Beruf Musiker werden. Von ihrem Auftritt in Berlin her zu urteilen, steht diesem Wunsch nichts mehr im Wege.