Ein Plädoyer für produktives Arbeiten

Ich schraube, also bin ich

Ein Philosoph hängt seinen Job an den Nagel und findet Erfüllung als Motorradmechaniker: Reparieren ist für Matthew Crawford eine philosophische Tätigkeit, die er auch seinen Mitmenschen nahe bringen will - in einer Welt, in der das Handwerk nichts mehr zählt.

Neu gekauft statt repariert?

Der Amerikaner Matthew Crawford ist promovierter Philosoph an der University of Chicago und arbeitete als geschäftsführender Direktor eines Think-Tanks in Washington. Lange Zeit schien seine Karriere, ja sein Leben, dem Denken und den damit verbundenen gut dotierten Jobs hinter Bildschirmen gewidmet zu sein. Doch nach nur fünf Monaten als Think-Tank-Direktor zog Crawford einen Schlussstrich und machte sich als Motorradmechaniker selbständig. Die manuelle Arbeit verschaffe ihm mehr Befriedigung als die rein geistige, sagt er. Eine Erkenntnis, die er ausführlich in seinem Bestseller "Ich schraube, also bin ich"

Was sie einst selber anfertigten, kaufen die Menschen heute normalerweise; und was sie einst selbst reparierten, übergeben sie einem Fachmann zur Reparatur, wenn sie es nicht überhaupt wegwerfen und neu kaufen. Und eine fachmännische Reparatur besteht heute oft darin, dass ein ganzes System ersetzt wird, obwohl nur irgendein winziges Bauteil versagt hat.

Verborgene Technik

Wir leben in einer Welt, in der das Handwerk nichts mehr zählt. Im letzten Jahrzehnt ist eine Art "Ingenieurskultur" entstanden, die uns weismachen will, dass es nicht mehr nötig ist Dinge zu verstehen, sondern dass es reicht, wenn sie einfach funktionieren. Wenn sie das aber tatsächlich einmal nicht tun, dann macht es uns das Design oft nicht möglich, die Ursache der Störung selbst zu beheben, ja überhaupt zu erkennen.

Das beste Beispiel: Autos. Unter der Kühlerhaube moderner Kraftfahrzeuge finden wir heute oft keinen Motor mehr, sondern eine weitere Haube, die uns den Zugriff auf diesen verwehrt. Ein Verdeck und viel elektronischer Firlefanz, der verhindern soll, dass wir selbst Hand anlegen. Die einzigen Zauberer, die diesen rätselhaften Monolithen wieder zum Laufen bringen können, sind Werkstätten mit der richtigen Software, die sich ihre Exklusivität fürstlich entlohnen lassen.

Auch bei zahlreichen Haushaltsgeräten finden wir kaum mehr Schrauben, die sich mit herkömmlichen Werkzeugen öffnen lassen. Die Neugierigen und Zornigen sollen auch hier daran gehindert werden, der Schadensursache auf den Grund zu gehen. Das System verhindert individuelles Verstehen, Hinterfragen oder gar Reparieren. Die schöne neue Welt funktioniert ganz - oder gar nicht.

Unbegreifliche Welt

Per "Soft Touch" bleibt uns im Zeitalter des "Virtualismus" nur noch die Wahl zwischen "On" oder "Off". Die vermeintliche Leichtigkeit des Seins bezahlen wir mit der Ahnungslosigkeit, wie diese "Easy World" eigentlich funktioniert. Befriedigt uns das?

Sowohl als arbeitende Menschen wie auch als Konsumenten haben wir das Gefühl, uns in Bahnen zu bewegen, die aus der Ferne von unpersönlichen Kräften vorgezeichnet werden. Wir befürchten, dümmer zu werden, und beginnen uns zu fragen, ob die Fähigkeit, die Welt richtig zu begreifen, möglicherweise davon abhängt, dass man in der Lage ist, die Dinge der Welt in buchstäblichem Sinn aktiv anzugreifen.

Der Philosoph und Mechaniker Matthew Crawford reißt in seinem leidenschaftlichen Plädoyer für produktives Arbeiten eben diese Verdeckungen herunter und blickt ins Innere eines Mechanismus, dessen Zusammenhänge für viele nicht mehr nachvollziehbar sind.

Immer mehr Menschen sind mit ihrer Arbeit unzufrieden. Sie verrichten ihre Dienste nach Vorschrift, ernten aber kaum Lob für ihr "Werk", weil dieses allzu oft völlig abstrakt ist. Immer öfter ist es Meta-Arbeit, die darin besteht, mit dem Mehrwert der Arbeit anderer Leute Handel zu treiben oder sie zu verwalten.

Verlorene Eigenständigkeit

Gerade in Krisenzeiten, in denen zum Sparen in allen Sparten aufgerufen wird, stehen viele vor dem Problem, zu wenig eigenständig zu sein. Die Fähigkeit, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, ist in unserer überreglementierten und immer unübersichtlicheren Welt abhanden gekommen.

Immer mehr, so der Autor, wünschen sich nicht erst seit Beginn der Krise, eine verständlichere Welt, in der man auch wieder mehr Verantwortung übernehmen kann. Handwerkliches Können oder zumindest die Lust am Verstehen von Abläufen spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Der Handwerker ist stolz auf das Produkt seiner Arbeit und behandelt es mit Respekt, während sich der Konsument in rastlosem Streben nach immer Neuem laufend durchaus brauchbarer Dinge entledigt. Wer sich ein halbwegs zutreffendes Bild vom Produktionsablauf machen kann, glaubt das Märchen nicht mehr, das uns die Werbung erzählt.

"The Big Picture"

Das "handelnde Denken" erlerne man als Handwerker, so der Autor weiter, automatisch, während man als mehr oder weniger anonyme Arbeitseinheit in einem Großbetrieb lediglich mit den zugeteilten Tätigkeiten zurechtkommen muss. Die großen Zusammenhänge zu verstehen, ist oft gar nicht erwünscht.

Im Idealfall, - und bei Crawford hat es sich genau so ergeben - wird das Hobby zum Beruf. Als leidenschaftlicher Motorradfahrer war es ihm stets ein Bedürfnis, sein geliebtes Gefährt zu warten und zu reparieren. Die Kapitel, die sich intensiv mit der Geschichte seiner Anfänge als selbstständiger Motorradmechaniker auseinandersetzen, kann man als Laie getrost überlesen. Wer beim Vernehmen von Ausdrücken wie Öldichtung, Zylinderbank oder Ventilabdeckung keinerlei emotionale Regungen verspürt, muss sich da nicht durch quälen. Die Essenz seiner Ausführungen wird ohnehin in den anderen Kapiteln ausreichend vermittelt.

Crawford geht es auch nicht darum, das Motorradfahren zu empfehlen oder das Leben als Mechaniker oder Handwerker zu idealisieren. Vielmehr versucht er zurückzuverfolgen, warum vielen von uns die Leidenschaft für ihr berufliches Handeln verloren gegangen ist beziehungsweise diese gar nie entstehen konnte.

Erkenntnisreiches Denken

Crawford empfiehlt das Handwerk - und sei es nur als hobbymäßiges Basteln - nicht nur als Tätigkeit, die stolz und unabhängig macht, sondern auch als stochastische Herausforderung mit dem großen Vorteil, das Scheitern zu erlernen. Eine Erfahrung, so Crawford, die vor allem der politischen und wirtschaftlichen Elite gut tun würde. Die Möglichkeit sich zu irren und danach einen alternativen Weg einzuschlagen, fehle allzu oft in der Welt der Entscheidungsträger.

Crawford zeigt, dass man durch die manuelle Arbeit mit realen Gegenständen zu einem intensiveren, fokussierteren und erkenntnisreicheren Denken gelangt. Menschen, die etwa versuchen, Kaputtes selbst zu reparieren, werden in unserer Konsumgesellschaft allzu schnell als schrullige Widerstandskämpfer eingestuft. Dabei wird aber vergessen, was der wahre Gewinn dieses Tuns sein könnte.

Eigenwilligkeit ist ein Ausdruck der eigenen Würde, und wer sein Auto selbst repariert, verbraucht nicht einfach nur Zeit, sondern erlebt seine Zeit, sein Auto und sich selbst anders als derjenige, der auf eigenständige Reparatur verzichtet.

Service

Matthew B. Crawford, "Ich schraube, also bin ich. Vom Glück, etwas mit den eigenen Händen zu schaffen", aus dem Englischen übersetzt von Stephan Gebauer, Ullstein Verlag

Ullstein