Siemens-Personalchefin "Im Journal zu Gast"
Ederer kritisiert Bildungspolitik
Die neue Personalchefin des Siemens-Konzerns, Brigitte Ederer, kritisiert die Bildungspolitik in Österreich: Wegen der frühen Trennung der Schullaufbahnen würden Talente nicht ausgeschöpft. Die Parteien verharrten in alten Lösungen, und an den Universitäten herrsche "Überflutung", die "geordnet begrenzt" werden müsse.
8. April 2017, 21:58
Kritik, aber keine "guten Ratschläge"
Siemens-Arbeitsdirektorin Brigitte Ederer im Mittagsjournal-Interview "Im Journal zu Gast" am 03.07.2010 mit
Reformbedürftige Bildung
Das drängendste Problem Österreichs ist nach Ansicht Ederers der Bildungsbereich. Österreich habe "mit Sicherheit" den größten Nachholbedarf bei der Reform des Bildungswesens. Die beiden Regierungsparteien würden da "in alten Antworten und Lösungsmöglichkeiten erstarren". Es sei unverantwortlich, die Bildungskarrieren in so jungen Jahren zu trennen. "Wir werden es uns in Zukunft nicht leisten können, auf so viele Talente zu verzichten. Man muss jedes Talentmaximum ausschöpfen." Problematisch sieht Ederer auch die "Überflutung" mancher Universitäten, wodurch man Wissen nicht mehr optimal vermitteln könne. Experten müssten darüber nachdenken, wie man das "geordnet begrenzt". Wenn Bachelor-Absolventen intervenieren müssen, dass sie eine Dissertation schreiben können, dann "ist das System an der Kippe und das muss man sich überlegen". Eine zweite Frage sei die der öffentlichen Verwaltung und wie der Staat organisiert ist.
Für Gruppenbesteuerung
Die von der SPÖ bekämpfte Gruppenbesteuerung verteidigt Ederer: Sie bringe für internationale Konzerne wie Siemens Wettbewerbsvorteile und sei ein Argument gegenüber der Konzernzentrale, welche Standorte die besten sind. "Gute Ratschläge" an die SPÖ will Ederer zwar nicht machen, aber auch nicht einfach zustimmen, dass sie mit dem Bild der SPÖ in Wirtschaftsfragen zufrieden ist.
Strategien für Beschäftigung
Um Arbeitsplätze in Europa zu halten, will sich Ederer mit den Gewerkschaften Deutschlands, aber auch der gesamten EU zusammensetzen und gemeinsame Maßnahmen ausarbeiten. Erste Gespräche habe es in Deutschland bereits gegeben. Ein Punkt sei die Flexibilisierung der Arbeit, um auf die unterschiedlichen Auftragslagen eingehen zu können und die Beschäftigung zu sichern. Dafür müssten die Unternehmer mehr Sicherheit geben, die Arbeitnehmer stärker auf die jeweilige Auftragssituation reagieren.
Kränkende Politik
Von der aktiven Innenpolitik hat Ederer allerdings genug: "Politik ist das Spannendste, Aufregendste, und zugleich Kränkendste, was Sie tun können. Ich habe das 17 Jahre erlebt und bei mir überwiegen die Erinnerungen, dass es sehr kränkend sein kann." Jetzt habe sie eine gestalterische Möglichkeit, die sie nutzen möchte. Ederers Vision von Europa: die "Vereinigten Staaten von Europa" mit einer Wirtschaftsregierung. Dass sie das wohl aber nicht erleben werde, liege an den Politikern, die nicht an Gesamteuropa denken würden, so Ederer.
Schwierige Phase Jobabbau
Über ihre bisherige Amtszeit zieht sie eine gemischte Bilanz: Einerseits habe man Personal abbauen müssen, andererseits sei es gelungen, die Verantwortung für Zentral- und Osteuropa nach Wien zu bekommen. Vor allem der Personalabbau sei der schwierigste Abschnitt ihres Berufslebens gewesen. Sie habe versucht, eine halbwegs sozial verträgliche Lösung zu finden. Denn ohne Stellenabbau wäre die Firma gefährdet gewesen, das sei "in unserem Gesellschaftssystem alternativlos".
Hausverstand und Mut
Brigitte Ederer erläutert im Ö1-Interview "Im Journal zu Gast", wieso sie sich die neue Aufgabe im Siemens-Vorstand als Personalchefin für 400.000 Mitarbeiter und Europachefin zutraut: Sie habe zwar einen Nachholbedarf im deutschen Arbeitsrecht, aber sie gehe davon aus, dass Führungspositionen in der Regel das selbe Muster haben. Außerdem: Hausverstand und der Mut, so lange zu fragen, bis man es verstanden hat, könnten helfen, Dinge richtig einzuordnen und richtig zu entscheiden.
Dann in Pension?
Nach ihrer fünfjährigen Amtsperiode bei Siemens in München denkt Ederer vorerst an Pension: Der Bescheid ihrer Pensionsversicherung laute auf 1. März 2016. Dann sei sie 59. Und Bescheide solle man nicht in Frage stellen, meint Ederer - aus heutiger Sicht.
Von der Politik ins Management
Die Sozialdemokratin Brigitte Ederer ist vor zehn Jahren von der Politik in die Wirtschaft gewechselt. Sie zog in den Vorstand von Siemens Österreich ein. Vor fünf Jahren wurde sie Generaldirektorin von Siemens - und seit 1. Juli sitzt die 54-Jährige im acht Posten umfassenden Vorstand des Siemens Konzerns in München. Ederer ist zuständig für das Europageschäft und fürs gesamte Personal - das sind mehr als 400.000 Mitarbeiter. "Arbeitsdirektor" heißt das bei Siemens, und weil das Voraussetzung dafür ist, hat Ederer jetzt auch einen Wohnsitz in München. Ederer bekleidet damit einen der raren Top-Jobs in Europas Unternehmen.
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