Sicherheitsmaßnahmen zum Jahrestag der Unruhen

Hochspannung in Urumqi

In der nordwestchinesischen Provinz Xingjiang gelten zum Jahrestag blutiger Unruhen verschärfte Sicherheitsmaßnahmen. Angehörige der muslimischen Minderheit der Uiguren haben vor einem Jahr Han-Chinesen angegriffen, die wiederum Racheakte an den Uiguren verübten. Dabei kamen fast 200 Menschen ums Leben.

Mittagsjournal, 05.07.2010

Nervosität zum Jahrestag

Mit einem großen Sicherheitsaufgebot, aber auch mit einem Investitionsschub versucht die chinesische Führung die Spuren der Unruhen in der Provinz Xinjiang vor einem Jahr zu beseitigen. Bei den Unruhen, bei denen muslimische Uiguren gegen das chinesische Mehrheitsvolk der Han vorgegangen waren, wurden am 5. Juli vor einem Jahr fast 200 Menschen getötet. Über den Rachefeldzug, der folgte, ist offiziell weniger bekannt. Erst vor wenigen Tagen vermeldete die chinesische Führung, ein uigurisches Terror-Netzwerk zerschlagen zu haben. Zum Jahrestag sind die Sicherheitskräfte nervös, aber ein Jahr danach präsentiert sich die Hauptstadt Urumqi weniger angespannt als unmittelbar nach den Unruhen.

Kameras statt Polizisten

Muslimische Uiguren stellen fast die Hälfte der Bevölkerung von Xinjiang, aber auf dem Flughafen der Hauptstadt Urumqi sieht man keine. Zwei Polizisten mit Helm bewachen den Ausgang, mehrere Polizisten mit Schlagstöcken stehen umher und so mancher zufällige Passant sieht aus, als wäre er von der Geheimpolizei. Urumqi ist nervös, es sind viele Sicherheitskräfte zu sehen, aber es sind deutlich weniger als noch vor einem Jahr. Vielleicht liegt das auch daran, dass man die Sicherheit nun einer Masse an Videokameras übertragen hat. Allein in Urumqi wurden fast achteinhalb tausend neue Überwachungskameras installiert. In den uigurischen Stadtvierteln wird jedes Autokennzeichen fotografiert. Die Fotos seien so scharf, dass man jeden Insassen eines Autos erkennen kann, schreibt die staatliche Nachrichtenagentur.

Man hat alles im Griff, sagt auch eine Polizistin. "Unsere Führung ist gut, schauen Sie, wie viele Sondereinheiten es hier gibt. Da muss man sich wirklich keine Sorgen machen", meint sie. Sie sorgt sich dennoch, und zwar darum, dass jemand auf dem Gemüsemarkt doch das Falsche sagt. Die Sorge ist unbegründet. "Alles ist gut, wir vertrauen der Partei", sagt ein Händler.

Uiguren-Ghettos vor dem Aus

Diese Partei hat den obersten Mann der Provinz nach den Unruhen ausgetauscht. Die Stadt hat sich ein neues Hauptquartier und auch einen neuen Volkspark gebaut. Nicht die einzige Investition. In zehn Jahren, so verspricht Peking, will man das Durchschnittseinkommen in der Provinz auf den chinesischen Durchschnitt anheben. Und das bedeutet auch, dass die Ghettos der Uiguren geschleift werden.

Ein solches Uiguren-Ghetto ist Heijiashan. Die meisten der Häuser hier sind schon abgerissen. Wer hier ein einfaches Ziegelhaus besitzt, bekommt eine 60-Quadratmeter-Wohnung im Neubau gratis. Drei Jahre soll die gerade erst begonnene Kampagne gegen die Slums dauern. Ob denn die Menschen gerne wegziehen? "Natürlich. Wer zieht schon weg, wenn er nicht muss", sagen einige Bewohner.

Ins Mikrophon geflüstert

Wohlstand als Rezept für Stabilität. Was in den Han-Gebieten seit rund 30 Jahren funktioniert, will man jetzt auch hier mit Nachdruck umsetzen. Denn so recht funktioniert hat es bis jetzt nicht. Aber nicht jeden Uiguren beruhigt das. In einem anderen Straßenzug, in dem es vor einem Jahr noch von Menschen gewimmelt hat, ist heute kaum noch jemand zu sehen. Ein Mann wagt es, ins Mikrophon zu flüstern: "Letztes Jahr um diese Zeit sind hier Menschen umgekommen. Danach sind hier viele weg. Heute leben hier nur noch wenige Menschen." Andere lassen mit ihren Augen verstehen, dass sie besser nicht sprechen sollten. Ein alter Herr meint kryptisch, seiner Familie gehe es nicht gut, aber er könne nicht sprechen. Er entfernt sich immer wieder, kehrt immer wieder zurück, so als wolle er doch etwas sagen und geht dann wieder weg. Ein anderer deutet hingegen nur vielsagend auf die hinter ihm stehenden Polizisten.

Unsicheres Rezept für den Frieden

Die Armut ist immer noch offensichtlich in diesen Vierteln. "Ich habe keine Arbeit. Ich war eben kein guter Schüler, seit der Mittelschule bin ich arbeitslos. Aber meine Frau hat einen Job." In den neuen Wohnvierteln sollen sich diese Uiguren mit den armen Han-Chinesen mischen, deren Slums jetzt ebenfalls geschleift werden sollen. Ein Rezept für den Frieden, dem offenbar nicht einmal die Führung selbst vertraut. Das chinesische Militär hält zur Zeit gemeinsame Militärmanöver mit Pakistan ab. Ausdrückliches Ziel ist die Bekämpfung der ostturkestanischen islamischen Bewegung, die von Peking für die Unruhen verantwortlich gemacht wurde. Die Terminwahl war sicher kein Zufall.