Nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags
Österreich beschließt Einspruchsrechte
Sieben Monate nach Inkrafttreten des EU-Reformvertrags von Lissabon schafft der Nationalrat Kontrollmöglichkeiten für das österreichische Parlament. National- und Bundesrat bekommen Einspruchsrechte, wenn EU-Stellen sich unangemessen in nationale Angelegenheiten einmischen.
8. April 2017, 21:58
Mehr Mitentscheidungsrechte für EU-Parlament
Der EU-Vertrag von Lissabon bringt raschere Entscheidungen als früher. Es gibt weniger Materien, in denen sich alle 27 Staaten für eine Gesetzesänderung einig sein müssen. Umgekehrt formuliert, in vielen Bereichen genügt das Überspringen einer auch nicht all zu kleinen Mehrheitshürde. Quasi im Gegenzug zu dieser Änderung im EU-Ministerrat haben die Parlamente mehr Rechte bekommen. Das EU-Parlament hat mehr Mitentscheidungsrechte als bisher.
Staaten können Einspruch erheben
Die nationalen Parlamente können durch den neuen Vertrag Einspruch erheben, wenn sie der Meinung sind, dass sich die EU-Kommission, der Rat oder das EU-Parlament unangemessen in nationale Zuständigkeiten mischen, durch ein bevorstehendes oder soeben frisch beschlossenes EU-Gesetz.
Subsidiaritätsklage in Bundesverfassung
Und um genau diese Einspruchsmöglichkeiten geht es heute, in der Juristensprache "Subsidiaritätsklage" genannt bzw. deren Vorstufe, die sogenannte "Subsidiaritätsrüge". Beide Instrumente werden jetzt in der österreichischen Bundesverfassung fixiert und konkretisiert.
Einspruch bei EU-Gerichtshof
ÖVP-Verfassungssprecher Wilhelm Molterer skizziert, was vier von fünf Parlamentsfraktionen heute Nachmittag beschließen werden. "Das ist eine neue Möglichkeit, die mit dem Lissabon Vertrag für die nationalen Parlamente geschaffen wird. In die Gesetzeswerdung der europäischen Union direkt einzugreifen. Die Subsidiaritätsrüge sagt: Aufpassen, das widerspricht unserer Auffassung nach Subsidiaritätsbestimmung, sprich: dem Recht der unteren Ebene. Dann muss der Gesetzgeber, die Kommission oder das Parlament darauf Rücksicht nehmen. Tut er das nicht, dann können die Mitgliedsstaaten die rote Karte ziehen, also die Subsidiaritätsklage. Und zum Europäischen Gerichtshof gehen und sagen: Wir glauben, die Subsidiaritätsbestimmung ist durch diesen Rechtsakt der Union verletzt und wird von uns eingeklagt."
FPÖ dagegen
SPÖ, ÖVP, Grüne und BZÖ sind für dieses Bundesverfassungsgesetz, das unter anderem vorsieht, dass National- oder Bundesrat die EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof klagen, wenn sie der Meinung sind, Brüssel mische sich widerrechtlich in österreichische Angelegenheiten ein. Die FPÖ hingegen wird dagegen stimmen, sagt deren Verfassungssprecher Harald Stefan, und zwar nicht wegen seines Erachtens mangelhafter Ausführung der Subsidiaritätsklage, sondern auch wegen anderer Bestimmungen des Lissabon-Vertrages.
Rechte der Parlamente seien zu schwach
"Erstens, weil wir überhaupt gegen den Lissabon Vertrag auftreten. Zweitens, weil wir der Meinung sind, dass man zu leichtfertig von der Einstimmigkeit abgehen kann bei bestimmten Themen. Drittens, weil die Rechte, die den Parlamenten eingeräumt sind, zu schwach sind. Viertens, weil die Länderinteressen besser durch die Landtage direkt vertreten werden sollten als durch den Bundesrat", sagt Verfassungssprecher Stefan. Argumente, die ÖVP-Verfassungssprecher Molterer nicht nachvollziehen kann, der Lissabon-Vertrag sei beschlossen, da sei es ja wohl nicht sinnvoll, jetzt auf die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten zu verzichten.
Zu leichtes Abgehen des Einstimmigkeitsprinzips
Zur FPÖ-These, dass die EU ab sofort, unter Zustimmung der jeweiligen österreichischen Bundesregierung, zu leicht vom Einstimmigkeitsprinzip abgehen könne, sagt Molterer: "Das ist nur dann möglich, wenn das Parlament mit Zweidrittelmehrheit dafür grünes Licht gibt. Ein einseitiges Abgehen von der Einstimmigkeit bei einer Bundesregierung ist nicht möglich. Das ist eine ganz starke Möglichkeit, die wir hier seitens des Parlaments mit der Verfassung eingebaut haben."
Regierung, BZÖ und Grüne dafür
Hier will eben die FPÖ nicht eine Zweidrittelmehrheit im Parlament als Hürde, sondern jeweils eine gesamtösterreichische Volksabstimmung. Insgesamt, wie gesagt, bleibt die FPÖ mit ihrer Ablehnung des Lissabon-Begleitgesetzes im Nationalrat allein. Von mehr Einflussmöglichkeiten sprach im Verfassungsausschuss die ÖVP, von einer Chance die SPÖ, von einer eleganten Umsetzung die Grünen, von einer begrüßenswerten Ausweitung der Parlamentsrechte das BZÖ.