Oder: ein feministisches Dilemma
Die Sache mit dem Schleier
Es geht - sagt man(n) - um die Rechte der Frau. Auch deshalb müsse man(n) einen Krieg in Afghanistan führen. Auch deshalb müsse die Verschleierung muslimischer Frauen von westlichen Demokratien auf das Schärfste verurteilt werden. Was nun geschah.
8. April 2017, 21:58
Das französische Parlament hat ein Anti-Vermummungsgesetz verabschiedet. Und meint damit - glaubt man den Berichten über die dem Gesetz vorausgegangenen Debatten - die Burka. Frauen, die gegen das Gesetz verstoßen, das übrigens noch die Zustimmung des französischen Senats braucht, um in Kraft zu treten, werden dafür in Zukunft mit einer Geldstrafe von 150 Euro belegt. Teurer wird's schon für ihre Ehemänner, die sie zum Tragen der Burka zwingen: 30.000 Euro oder ein Jahr Gefängnis.
Frage an mich selbst: Warum um alles in der Welt bin ich diesem Gesetz gegenüber so skeptisch? Denn auch ich will weder selbst jemals eine Burka tragen müssen noch dem Anblick von ganzkörperverschleierten Frauen ausgesetzt sein. Das ist keiner Frau zumutbar. Ebenso unzumutbar übrigens wie die völlige Entblößung der Frauen in unserer Gesellschaft, täglich zu sehen auf immer sexistischer werdenden Werbeplakaten.
Antwort an mich selbst: Ich bin skeptisch, weil ich den Beweggründen, die zu so einem rechtlichen Schritt in einer ideologisch ohnehin sehr aufgeheizten Gesamtatmosphäre führen, misstraue. Ein klassisches, und in diesem Fall sogar feministisches Dilemma.
Frage an mich selbst: Geht es da wirklich um die Rechte der Frauen, der muslimischen ebenso wie der säkularen/religiösen/feministischen/westlichen Frauen? Darf ich von Politikern, die es immer noch nicht geschafft haben, die täglich weiter auseinanderklaffende Gehaltsschere zwischen Frauen und Männern per Gesetz zu schließen, die es immer noch nicht geschafft haben, Gewalt gegen Frauen kompromisslos zu bestrafen, die es immer noch nicht geschafft haben, Frauensexhandel radikal zu verfolgen, Beschneidung zu bekämpfen, die Steinigungen von Frauen auf die außenpolitische Agenda zu setzen, etc. etc. erwarten, dass es ihnen mit so einem Gesetz um die Gleichberechtigung von Frauen geht? Oder geht es hier um einen Kulturkampf, zu dessen Durchführung man sich plötzlich der Rechte der Frauen besinnt? Zumal, wenn man bedenkt, dass der Prozentsatz der Frauen, die in der französischen Öffentlichkeit eine Burka tragen, verschwindend gering ist.
Antwort an mich selbst: Ich weiß es nicht.
Wenn man wirklich die Situation von Frauen verbessern möchte, braucht es zu so einem Gesetz auf jeden Fall flankierende Maßnahmen: Bildungs- und Sprachangebote, Arbeitsplätze, Sozialarbeit in den betroffenen Familien und wirkliche Integration in das Leben jener Gesellschaft, die zu Recht nicht will, dass Frauen wie mittelalterliche Besitztümer ihrer Männer "gehalten" werden. Sonst zäumt man das Pferd von hinten auf. Und das, davon bin ich zutiefst überzeugt, baden am Ende die Frauen aus.
Wer übrigens mehr über die Kulturgeschichte der Verschleierung wissen möchte, lese das Buch "Verschleierte Wirklichkeit. Die Frau, der Islam und der Westen" von Christina von Braun und Bettina Mathes. Und bilde sich dann eine Meinung.
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Christina von Braun und Bettina Mathes, "Verschleierte Wirklichkeit. Die Frau, der Islam und der Westen", Aufbau Verlag
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