Eine Million Aids-Waisen
Simbabwe: Ein Viertel HIV-positiv
Simbabwe liegt im weltweiten Vergleich auf dem traurigen vierten Platz bei der HIV-Ansteckungsrate. Laut inoffiziellen Zahlen ist fast jeder vierte Bewohner Simbabwes HIV-positiv. Eine Million Kinder sind Aids-Waisen.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 16.07.2010
Als Schicksal hingenommen
Wenn Grandma Maguru mit ihren noch lebenden Töchtern tanzt und singt, scheint alle Trauer verflogen zu sein. Die 83-Jährige hat elf Kinder gehabt, sechs sind an Aids gestorben und mit ihnen zahlreiche Enkelkinder. Doch die katholische Familie scheint ihr Schicksal hinzunehmen. Der bezeichnende Lied-Text: "Gott Du bist allmächtig, Du kannst jeden von uns nehmen. Wir werden es akzeptieren."
Von Krankheit nichts gewusst
Hunderttausende Menschen in Simbabwe mussten den Tod ihrer Kinder hinnehmen. Rund 1,3 Millionen Waisenkinder leben in dem südafrikanischen Land, davon eine Million Aids-Waisen - das ist fast ein Zehntel der Gesamtbevölkerung. Und Grandma Maguru erzählt gar: "Mein Sohn, der noch lebt, hat sieben Frauen gehabt, die alle gestorben sind. Er hat einfach immer wieder geheiratet, ohne zu wissen, dass er HIV-positiv ist."
Emilda Maguru, eine noch lebende Tochter der 83-Jährigen ist an Tuberkulose erkrankt und ebenfalls HIV-positiv, angesteckt durch ihren verstorbenen Mann. "Als mein Ehemann krank geworden ist, hat niemand Bescheid gewusst über HIV-Aids. Wir haben nicht gewusst, dass wir Kondome verwenden sollten."
Medikamente vom Kinderdorf
Emilda Maguru versorgt jetzt drei eigene Kinder und zwei einer verstorbenen Schwester. Die Familie lebt in Mashanga 80 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Harare in strohgedeckten Hütten. Geschlafen wird unter anderem am Boden der Küchenhütte. Der 14-Jährige Mischek würde sich Schuhe wünschen und mehr Decken, für die kalten Winternächte jetzt im südlichen Afrika. Mischek ist ebenfalls HIV-positiv. "Meine Medikamente werden von SOS-Kinderdorf bezahlt", erzählt er. Wegen seiner Krankheit könne er den weiten Weg in die Schule zwar nicht so schnell laufen wie die Geschwister. Aber in der Klasse werde er nicht ausgegrenzt und sei der elftbeste von 48 Schülern.
Regime lässt Hilfe zu
In Simbabwe gibt es längst Aufklärungskampagnen und verpflichtenden Unterricht über HIV/Aids an Schulen und Universitäten. Der Staat von Langzeitmachthaber Robert Mugabe ist in der Aids-Bekämpfung zu Fortschritten in der Lage - allerdings mit Unterstützung aus dem Ausland. SOS-Kinderdorf beispielsweise hilft 1000 Kindern und ihren Familien auch durch psychologische Beratung. Mutter Emilda Maguru erzählt:
"Durch Beratung, Seminare und eine Selbsthilfegruppe habe ich gelernt, wie ich positiv leben kann. Ich befolge die Ratschläge und ich lebe - ich kann gut weiterleben."
Gary Birditt, SOS-Kinderdorf Chef in Simbabwe: "Für HIV-positive Menschen ist es ganz wichtig, dass sie nicht glauben, das ist das Ende ihres Lebens sondern der Beginn eines neuen Lebens, in dem sie anders leben müssen, vielleicht jeden Tag eine Tablette nehmen und ihre Ernährung umstellen müssen - aber es ist nicht das Ende des Lebens oder der Welt."
Kinderdorf-Konzept überfordert
Um Kindern das Überleben zu sichern, stellt SOS-Kinderdorf auch Saatgut und Dünger zur Verfügung - unterstützt von der staatlichen österreichischen Entwicklungs-Agentur ADA. Gary Birditt: "Durch die HIV-Aids-Pandemie gibt es derart viele Waisen, dass das Kinderdorf-Modell nicht einmal ansatzweise eine Lösung sein kann. Wenn wir Waisenkinder bei ihren Verwandten und Gemeinschaften unterstützen, können wir viel mehr Kindern helfen bei geringeren Kosten pro Kind." Doch dieses Geld reicht nur für ein Leben in Armut, zumal die Arbeitslosigkeit in Simbabwe bei rund 80 Prozent liegt.
Armut - Prostitution - Aids
Die Familie Maguru ernährt sich von selbst angebautem Mais und Gemüse. Durch Verkauf am Markt kann Emilda nur 20 US-Dollar pro Monat dazuverdienen - aber die meisten Produkte sind so teuer wie in Österreich. Für den SOS-Kinderdorf-Delegierten bei der Aids-Konferenz in Wien Justin Anton Lungu ist Armut ein Hauptfaktor für die Verbreitung von Aids. Der zweite: Polygamie und Prostitution sind trotz der massiven Aids-Gefahr noch weit verbreitet. Aids-Experte Lungu: "Sie werden sehen: Wo die Armut groß ist, dort haben wir auch das größte HIV/Aids-Problem. Und man fragt sich, warum ändern sie nicht ihre Gewohnheiten, wenn sie sehen, dass ihre Verwandten sterben!? - Aber die immer noch vielen Prostituierten in den Straßen von Harare sagen: Ich habe keine andere Wahl: Ich habe Kinder zu füttern und niemand gibt mir Arbeit."
Gesunde Ernährung könnte helfen
Dass vor allem auch Mangelernährung ein Faktor bei der Ansteckung mit Aids sein dürfte, hat HIV-Entdecker Luc Montagnier erst kürzlich postuliert. Wer ein ohnehin schon schwaches Immunsystem hat, wird demnach eher infiziert, als jemand der genug Geld hat, sich gesund zu ernähren. Eine Chance, die die Familie Maguru nicht hatte.