Die Frage der "erweiterten Herstellerverantwortung"

Wie wir unsere Erde zumüllen

Haben Sie sich schon einmal überlegt, welchen Weg das T-Shirt, das Sie gerade anhaben, schon zurückgelegt hat? Die amerikanische Aktivistin Annie Leonard veranschaulicht in ihrem Buch "The Story of Stuff" die Geschichte unserer Sachen - von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung.

Aus Rohstoffen wird Abfall

Das "Time Magazin" ernannte sie 2008 zur "Umweltheldin", konservative Kritiker bezeichnen sie als "Marx mit Pferdeschwanz": Annie Leonard beschreibt in ihrem Buch "The Story of Stuff" bildhaft, wie sich Rohstoffe in Komsumgüter verwandeln, und am Ende daraus "Stuff", also Müll wird - viel zu viel Müll.

Auch in einem Kurzfilm auf ihrer Website, der mit schwarzweißen Strichmaxerln animiert ist, erklärt sie energisch, welche Probleme es gibt. Und warnt, dass unser derzeitiger Bedarf an Ressourcen die Kapazität der Erde um das Eineinhalbfache übersteigt.

"Uns gehen die Rohstoffe aus, wir verbrauchen zu viel", heißt es in Leonards Kurzfilm. "Allein in den letzten drei Jahrzehnten wurde ein Drittel der weltweit vorhandenen Rohstoffe verbraucht. Wir in den USA verbrauchen nicht nur zu viel, sondern mehr als uns im Vergleich zusteht. Die USA machen fünf Prozent der Weltbevölkerung aus, haben aber einen Anteil von 30 Prozent am Verbrauch der Ressourcen und an der Abfallproduktion. Wäre der Verbrauch überall so hoch wie in den USA, bräuchten wir drei bis fünf Planeten."

Wirtschaftlicher Schaden

Laut der EU-Studie "The Economics of Ecosystems and Biodiversity" ist der Schaden, der der Wirtschaft durch das Abholzen der Wälder entsteht, viel größer als die Verluste durch die aktuelle Finanzkrise.

Kein Wunder, wenn man sich vorstellt, dass allein die Amerikaner pro Jahr so viel Papier verbrauchen, dass man damit eine drei Meter hohe Mauer von New York bis nach Tokio bauen könnte.

Umgang mit Wasser und Öl

Annie Leonard wirft viel mit Zahlen um sich, bringt sie aber immer in Relation. Für die Baumwolle eines T-Shirts braucht man beispielsweise 970 Liter Wasser. Bedenklich, wenn der "Economist" Wasser das "Öl des 21. Jahrhunderts" nennt. Als einen möglichen Lösungsansatz sieht Leonard hier den "Wasser-Fußabdruck", mit dem man seinen Wasserverbrauch beziehungsweise seine Verschwendung berechnen kann, um dann sorgfältiger damit umzugehen.

Trotz all unseres technischen Know-hows hat mindestens jeder sechste Mensch auf der Erde keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Jeden Tag sterben Tausende von Menschen - die meisten davon Kinder - an Krankheiten, die durch eine bessere Wasserversorgung zu vermeiden wären.

Nicht nur das Wasser wird langsam rar, auch das Erdöl könnte laut internationaler Energieagentur (IEA) in zehn Jahren das Fördermaximum erreicht haben. Annie Leonard spricht den Ressourcenfluch an, also das Paradoxon, dass Einheimische und die örtliche Wirtschaft trotz Bodenschätzen leiden, und den Kürzeren ziehen: Zum Beispiel Sierra Leone und seine Diamanten, Öl aus Nigeria und Kongos Coltan, das zum Beispiel in jedem Handy oder MP3-Player enthalten ist.

Die täglichen Giftstoffe

Wir bringen nicht nur einen Gehaltsscheck, sondern auch Asbestose und Silikose - also Lungenkrankheiten nach Hause, heißt es in einem von Annie Leonards Lieblingsliedern im Kapitel Produktion. In diesem Abschnitt des Buches wimmelt es nur so von Giftstoffen wie PVC, Quecksilber und Blei, mit denen wir alle uns Tag täglich umgeben.

In der EU kontrolliert zum Beispiel die REACH-Verordnung, ob Unternehmen nur unbedenkliche Chemikalien verwenden. Sie berücksichtigt allerdings nicht, ob mehrere toxische Chemikalien in Kombination schädlich wirken.Leonard appelliert hier an ökologisches und durchdachtes Design. Folgende Aussage könnte für das ganze Buch stehen.

Winzige Veränderungen können sehr wohl Unterschiede bewirken, wenn sie Millionen von Konsumprodukten betreffen. Dem Stecker am Handyladegerät eine neue Form zu geben, ist eine scheinbar kleine Sache. Doch die Vertreter der Mobilfunkindustrie erwarten, dass sich die Produktion von Ladegeräten halbieren wird. Das wiederum könnte den Ausstoß von Treibhausgasen, die bei Herstellung und Transport der Geräte anfallen, um mindestens 10 bis 20 Tonnen pro Jahr verringern.

99 Prozent entsorgt

"Inventar hat die Lebensdauer von Kopfsalat", hat der Gründer der PC-Firma Dell einmal gesagt. In den USA ist tatsächlich sechs Monate nach dem Kauf nur noch ein Prozent der Sachen in Verwendung. Das heißt 99 Prozent der Dinge, die geerntet, abgebaut, verarbeitet, transportiert und verkauft werden, sind nach einem halben Jahr Müll.

Wenn Leonard von ihren Erlebnissen erzählt, führt sie anhand fast banaler Beispiele vor Augen, woher ihr Engagement kommt.

Manchmal denke ich, der Wohlstand stumpft die Vorstellungskraft der Besitzenden ab. Bei einem ganztägigen Meeting wandte ich mich der Frau zu, die neben mir saß, und die viele Jahre in Haiti verbracht hatte. Ich sagte, ohne nachzudenken: "Ich hoffe wir sind hier bald fertig, ich bin am Verhungern." Sie drehte sich zu mir und erinnerte mich sanft: "Meine Liebe, Sie sind nicht am Verhungern."

Durchdachte Kritik

Im Kapitel Entsorgung schreibt Leonard über das zu positive Image von Recycling, und macht sich für "erweiterte Herstellerverantwortung" stark: ein Konzept, bei dem die Hersteller von Produkten für den gesamten Zyklus - also auch für die Entsorgung - verantwortlich sind.

Annie Leonard zeigt sich in ihrem Buch nicht nur missionarisch, sondern auch ein bisschen ironisch.

Okay, ich werde es jetzt sagen: Die Kritik des Wirtschaftswachstums ist eine Kritik am kapitalistischen System, so wie es heute auf dieser Welt funktioniert. Jetzt ist es heraus, ich habe das Wort gesagt: Kapitalismus. Es ist das "Wirtschaftssystem-das-nicht-genannt-werden-darf".

In "Story of Stuff", das sich als ein Mix aus einem Ökonomie-Skriptum, Umweltengagement und Annie Leonards Assoziationen liest, übt Leonard natürlich Kritik am Kapitalismus und am System. Aber: nicht blind, sondern durch ihre Reiseberichte, auf kluge und authentische Weise. Viele Zahlen und Fakten - erschreckende Zahlen und Fakten - lassen einem den Kopf brummen. Durch ihre lebensnahen Beispiele und Tipps im Epilog schafft es Leonard, dass man seinen eigenen - mehr oder eher weniger - umweltfreundlichen Lebensstil hinterfragt.

Leonard selbst lebt in einer Art Gemeinschaftssiedlung: Neben der Fahrgemeinschaft mit ihren Nachbarn tauscht oder teilt sie zum Beispiel Verpflegung, Kleidung und Bücher mit ihnen. Hippie oder Vorbild? Man kann seinem Nachbar ja zuerst einmal "The Story of Stuff" borgen.

Service

Annie Leonard, "The Story of Stuff. Wie wir unsere Erde zumüllen", aus dem amerikanischen Englisch von Christoph und Karola Bausum und Stephan Gebauer, Econ Verlag

The Story of Stuff
Ullstein Buchverlage - Econ
EU - The Economics of Ecosystems and Biodiversity
Österreichischer REACH-Helpdesk
Time Magazine
The Economist