Das zweite Buch von Catherine Millet

Eifersucht

Nicht die Fotos bedeuteten eine Katastrophe, sondern ihr Fundort. Auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer ihres Mannes Jacques entdeckte Catherine Millet unter einem geöffneten Kuvert Aufnahmen einer jungen Frau, die mit der Kamera ihr eigenes Spiegelbild fotografiert hatte: "Sie war nackt, saß auf dem Boden, die Beine gespreizt, ihr Bauch der einer Schwangeren".

Neben den Bildern lag ein Notizheft, in dem Jacques von jener Frau schwärmte: "Wie schön dieses Mädchen ist!", stand da, und wie sehr er sie begehre. Die Ehefrau, um nicht zu sagen, die "Betrogene", fühlte im ersten Moment gar nichts, um später dann umso heftiger das ganze Spektrum der Eifersucht zu durchleben: Schmerz, Ohnmacht, Leere, Verzweiflung, Selbstverachtung.

"Ich machte nun die Erfahrung, wie man leidet, wenn man an der Person zweifelt, die im Mittelpunkt der eigenen Gedanken steht", wird sie später schreiben, "wie man leidet an dem, was man sich zusammenfabuliert, um die vermeintlichen Lücken im Leben des anderen zu schließen. (...) Wir leiden unter unserer Vorstellungskraft und manchmal sogar unter unserem Mangel an Vorstellungskraft." "Jour de souffrance", "Tag des Leidens", heißt das jüngste, autobiografische Buch von Catherine Millet, das der Hanser Verlag jetzt unter dem Titel "Eifersucht" herausbrachte.

Ein unbekannter Teil des Lebens

"Ich bekam diese Eifersuchtskrise, weil ich die Liebe zwischen mir und meinem Mann vorher nie in Frage gestellt hatte", sagt Catherine Millet. "Ich glaube, keiner von uns hat damals, während dieser Krise, tatsächlich befürchtet, dass wir uns trennen, dass es zu einem Bruch kommt. Natürlich hatte ich bemerkt, dass er einen Hang zu jüngeren Frauen hat, was ja ganz 'klassisch' ist. Aber das war nicht wirklich der Grund für meine Eifersucht. Mir ging es schlecht ab dem Zeitpunkt, als sich plötzlich ein Teil seines Lebens vor mir auftat, den ich nicht kannte, der ein Geheimnis vor mir war, der ihn in gewisser Weise zu einem völlig Unbekannten machte, und dieser Unbekannte übte eine ungeheure Faszination aus. Und ich denke, ein Hauptantrieb meiner Eifersucht war, dass ich in dieses geheime Leben, das er neben mir geführt hatte, eindringen wollte. Dieser Unbekannte neben mir wurde immer mysteriöser, und dieses Mysterium wollte ich kennenlernen. Davon war ich fast drei Jahre lang wie besessen."

"Eifersucht" ist nicht nur die schonungslose Chronik eines Liebesleidens, sondern eine in neun Kapiteln unterteilte, literarisch durchaus ambitionierte Selbstreflexion, die um Liebe, Lust und Sexualität kreist, aber auch um Begriffe wie Inszenierung, Phantasie, Persönlichkeitsspaltung und Ausgrenzung.

Ein nicht gekanntes Gefühl

Die Erfahrung der Eifersucht war für Catherine Millet ein Schock - weil sie eine doppelte Entdeckung bedeutete: die der Affären ihres Mannes, und die der Existenz eines Gefühls, das sie nicht zu kennen glaubte. Die tabulose Autorin, die mit ihrem in 45 Sprachen übersetzten und mehr als zwei Millionen Mal verkauften Bekenntnis "Das sexuelle Leben der Catherine M." so etwas wie das Manifest der Freizügigkeit geschaffen hat und sich selbst die "Suffragette der Libertinage" nennt, gefangen in der Eifersuchtsfalle? Wie geht das zusammen?

"Diese Frage wird und wurde mir oft gestellt", so Millet. "Nicht zuletzt von meinem Mann, der gefragt hat, wie kannst ausgerechnet du, die so ein Leben geführt hat, eifersüchtig darauf sein, dass ich mich mit anderen Frauen getroffen habe. Wo du doch ein extrem freizügiges Sexualleben geführt hast und immer Freunde hattest, die gleichzeitig deine Liebhaber waren, während wir zusammengelebt haben. Diese Fragen haben mir sehr wehgetan, weil sie mir gezeigt haben, wie extrem widersprüchlich ich war. Und in welchem Ausmaß diese Gefühle der Eifersucht, die ich nicht zu kontrollieren vermochte, zu meiner eigenen Lebensweise im Widerspruch standen. Und so habe ich aus dieser Krise auch gelernt, dass die Prinzipien, die man für sich selbst aufstellt, einen nicht automatisch vor Gefühlen schützen, die extrem primitiv sind, die ganz tief aus der triebhaften Seite eines Menschen kommen. Da hilft einem unglücklicherweise auch die eigene Philosophie nicht viel weiter."

Blühende Phantasie

Die Entdeckung der Fotos löst bei Catherine Millet eine geradezu manische Suche nach weiteren Beweisen eines vor ihr verborgenen Sexlebens aus. Sie liest Jacques' Tagebücher, öffnet seine Briefe, durchstöbert den Computer, wird zur manischen Schnüfflerin und leidet zugleich unter dieser Schnüffelei, vor allem darunter, von einem wichtigen Teil des Lebens ihres Mannes ausgegrenzt zu sein. Sie, "die Onanistin mit der blühenden Phantasie", wie sie sich nennt, wird zur Sklavin ihrer sexuellen Phantasien, in denen ihr statt der Darsteller- nur die Zuschauerrolle bleibt.

Wo sie geht und steht, sieht sie Jacques vor sich beim Geschlechtsakt. "Auf dem Sofa in Paris nahm Jacques das Mädchen im hellen Tageslicht unter den Fenstern wie eine Hündin...", schreibt sie. "In anderen Phantasmen nahm er das Mädchen im Stehen, den Rock einfach nur hochgehoben, hinter dem Tresen oder in der Garage... Im Flur fickten sie hastig auf dem Betonboden. Ich stand bei diesen Kopulationen immer hinter Jacques..."

Schmerzliche Erinnerungen

Diese Obsessionen verursachten Schmerz - und Lust, eine masochistische Lust, und die Vorstellung des Ehemanns beim Sex entwickelte sich zur bevorzugten Masturbationsphantasie. Catherine Millet beschreibt und analysiert das, und sie beschreibt es kalt und distanziert.

"Eifersucht" ist keine literarische Peep-Show, kein Porno, kein Stoff für lüsterne Voyeure, sondern der Versuch der Vivisektion sexueller und erotischer Mechanismen.

"Für mich war es unendlich viel schwieriger, dieses zweite Buch zu schreiben als das erste", gesteht Millet. "Zum einen, weil es sehr schmerzliche Erinnerungen wachrief, zum anderen, weil es zu meinen Prinzipien des Schreibens gehört, immer einen großen Abstand zu wahren. Wie der Abstand des Kunstkritikers vor einem Bild. Sie wissen ja, dass der immer ein paar Schritte zurückgeht, wenn er ein Kunstwerk betrachtet. Das ist auch meine Methode. Wenn Sie sich selbst beschreiben, müssen sie sich selbst zum Objekt machen, zu einem fremden Gegenstand, und auf sich schauen wie ein Wissenschaftler. Daraus erklärt sich meine Distanz. Und ich will auch nicht, dass mein Leser in Verlegenheit gerät, wenn ich von allerintimsten Dingen spreche. Die Distanz, die ich habe, soll auch er haben. Das erklärt meine Art zu schreiben."

Literarisches Verwirrspiel

Würde Catherine Millet immer nur "Ich" sagen, erwüchse der Verdacht eines literarischen Exhibitionismus: Madame Millet, die Parade-Intellektuelle der Pariser Schickeria, schockiert mit privaten Details. Doch die Autorin wechselt zwischen Ich und Wir, zwischen Konkretem und Abstraktem, Erlebtem und Resümeehaftem, und dieser Wechsel rückt das Persönliche immer wieder in die Nähe des Beispielhaft-Allgemeinen.

Aus Catherine Millet wird eine Person mit zwei Körpern, einem "bewohnbaren" und einem Beziehungskörper, einem sozialen und einen libidinösen, und aus ihrer psychologischen Entdeckungsreise ein literarisches Körper-Verwirrspiel. Und so geht es nicht nur um Gefühle, sondern vor allem um eine ganz spezielle Art der Betrachtung und Darstellung, die der Drastik der Promiskuität die Elaboriertheit des Intellektuellenjargons entgegensetzt.

Jetzt eine andere sein

Nicht immer geht das Kalkül auf. "Eifersucht" ist ein Text der unnachsichtigen Introspektion, frei von Larmoyanz und Betroffenheitsgetue, nicht frei aber von Längen und Manieriertheiten. Von "skopischen Trieben" ist die Rede, von Anamorphose und Ostrazismus, von einer "pervertierten Form der Phagozytose". Die Erzählerin bezeichnet sich als den "echten Matrosen", "der auf den Ruf des Meeres antwortet und in dessen unentwickeltem Geist die Häfen, sobald sie wieder verlassen werden, in jene unbestimmte Region übergehen, in der sich die Erinnerungen am Ende mit den Träumen vermischen".

Die vielzitierte "clarté" jedenfalls, sie ist nicht die Sache von Catherine Millet, die einräumt, dass die Bedeutung der Sexualität in ihrem Leben abgenommen habe:

"Und dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Der erste ist, dass ich ganz einfach ein bisschen älter geworden bin. Wenn man älter wird, nimmt die Sexualität einfach nicht mehr so viel Raum ein, man ist eher beschäftigt mit beruflichen oder intellektuellen Themen. Ein anderer Grund ist, dass, wenn ich nach dem Buch 'Das sexuelle Leben der Catherine M.' genauso weitergelebt hätte wie vorher, ich das Gefühl gehabt hätte, meine eigene Rolle zu spielen. Ich hätte diese Figur der Catherine M., die ich in dem Buch beschrieben habe, imitiert. Und bei dieser Vorstellung wäre mir unwohl. Ich war diese Frau, und jetzt bin ich eine andere. Ich glaube, dass Literatur, vor allem die autobiografische, es einem erlaubt, eine Tür im Leben zu schließen und dafür eine andere zu öffnen."

Emanzipation von der Pseudo-Boheme

Ich lebte in einem Käfig, ich lebte wie eine Kranke, ich hatte Jacques zum Mythos gemacht, schreibt die von Eifersucht Terrorisierte, die schließlich doch den Käfig, die Krankheit, den Mythos überwand, nicht zuletzt dank einer Psychoanalyse.

"Eifersucht" - dieses offene, originelle, durchaus selbstkritische Buch, dem man die sprachlichen und intellektuellen Anstrengungen freilich auf jeder Seite anmerkt - ist eine Art Fortsetzung des "Sexuellen Lebens der Catherine M.", sagt die Autorin. Beides sind Bücher über Sexualität und Gesellschaft, beide kann man lesen als freiwillig-unfreiwillige Versuche einer Emanzipation. Geht es im ersten Buch um die Emanzipation vom Kleinbürgerlich-Provinziellen mit seinen Vorstellungen von Moral und Monogamie, so geht es im zweiten um die Emanzipation von einer Pseudo-Boheme, die Eifersucht als altmodische Gefühlsregung verspottet und im Amoralischen das Künstlerische verehrt.

Vielleicht hat sich Catherine Millet mit diesen beiden Büchern das, was sie über die Freuden und Leiden der Sexualität mitzuteilen hat, nun endgültig von der Seele geschrieben. Vielleicht wird sie mit einem neuen Buch eine andere Tür öffnen - nicht die zum Arbeitszimmer ihres Mannes.

Service

Catherine Millet, "Eifersucht", aus dem Französischen übersetzt von Sigrid Vagt, Carl Hanser Verlag