Über absichtliche oder unabsichtliche Irreführung

Die Wissenschaftslüge

Ben Goldacre hat es sich zur Aufgabe gemacht, gute und schlechte Wissenschaft zu unterscheiden und in der Öffentlichkeit kritisches Bewusstsein dafür zu schaffen. In seinem Buch "Die Wissenschaftslüge" nimmt er Homöopathie, Ernährungsberatung, Pharmaindustrie und vieles mehr in die Mangel.

Entlarvte Quacksalberei

"Von Dermatologen getestet" ist eine eher belanglose Information, wenn nicht dabeisteht, was bei diesen Tests herausgekommen ist. Derlei Feststellungen gehören zu den Fingerübungen Ben Goldacres. Der Arzt und Psychiater arbeitet als Medizinjournalist für die britische Tageszeitung "The Guardian". In seiner Kolumne "Bad Science" entlarvt er Woche für Woche wissenschaftliche Quacksalberei, absichtliche oder unabsichtliche Irreführung der Menschen, schlechtes Studiendesign und ähnlichen Unfug aus dem Reich der Wissenschaft, insbesondere dem der Medizin.

Wissenschaftsberichte kommen heute eher aus der Welt der Medizin, und die Geschichten handeln davon, was einen umbringt oder heilt. Vielleicht ist es Narzissmus oder Angst, aber die Wissenschaft von der Gesundheit ist den Menschen wichtig, und gerade wenn man sie am meisten braucht, wird unsere Fähigkeit, uns um das Thema Gedanken zu machen, von den Medien, von Firmenlobbys, und, sagen wir es frei heraus, Spinnern aufs Übelste torpediert.

Musterbeispiel Homöopathie

Goldacre hat es sich nun gewissermaßen zur Aufgabe gemacht, zu zeigen, wie man selbst relativ einfach gute von schlechter Wissenschaft unterschieden kann. Den Anfang machen verschiedene alternativmedizinische Methoden. Vor allem eine stellt für ihn ein perfektes Lehrbeispiel für evidenzbasierte Medizin dar, Medizin, deren Wirksamkeit empirisch getestet ist: die Homöopathie.

Homöopathische Globuli, schreibt er, seien schließlich leere Zuckerkügelchen, die zu wirken scheinen. Die homöopathischen Stoffe, mit denen diese Zuckerkügelchen präpariert sind, sind stark verdünnt, das ist bekannt. Wie stark, müsse man sich dennoch immer wieder beispielhaft vor Augen halten. Etwa im Falle der so genannten C30-Verdünnung.

Man stelle sich eine Wasserkugel vor mit einem Durchmesser von 150 Millionen Kilometern (der Abstand von der Erde zur Sonne). (...) Man stelle sich eine Wasserkugel dieser Größe vor mit nur einem Molekül einer beliebigen Substanz darin: Das ist eine C30-Verdünnung.

Vom Gedächtnis des Wassers

Die C30-Verdünnung, eine Verdünnung von eins zu 10 hoch 60 (das ist eine Eins mit 60 Nullen), ist dabei noch nicht einmal die stärkste Verdünnung, die homöopathische Mittel aufweisen können. Ob nun der Vergleich mit der Entfernung Erde und Sonne oder auch der Anzahl aller Moleküle im Universum herangezogen wird - Homöopathen beharren ohnehin darauf, die Wirkung ihrer Mittel beruhe schließlich auf der Tatsache, dass Wasser über eine Art Gedächtnis verfüge und sich, einmal mit dem Wirkstoff in Berührung gekommen, diesen Kontakt auch über viele Verdünnungen hinweg merkt.

Dass dieses Gedächtnis des Wassers bisher nicht eindeutig und wiederholbar wissenschaftlich nachgewiesen wurde, stellt für Goldacre da nur ein Problem dar.

Selbst wenn man die Behauptung, Wasser verfüge über ein Gedächtnis, für bare Münze nimmt, hat sie doch gewaltige konzeptuelle Mängel, und die meisten können Sie sich selbst ausrechnen. Wenn das Wasser ein Gedächtnis hat, wie Homöopathen behaupten, und eine Verdünnung von eins zu 10 hoch 60 vertretbar ist, dann müsste doch unser gesamtes Wasser eine gesundheitsfördernde homöopathische Verdünnung aller Moleküle der gesamten Welt sein. (...) Ich habe das einmal in der Zeitung geschrieben, und ein Homöopath beschwerte sich prompt bei der Presseaufsicht. Nicht die Verdünnung sei das Maßgebliche, sagte er, sondern die Verschüttelung. Es gelte den Wasserflakon zehnmal forsch auf eine mit Leder und Pferdehaar bezogene Oberfläche zu schlagen, da auf diese Weise das Wasser dazu animiert werde, sich an ein Molekül zu erinnern. Weil ich dies nicht erwähnt hätte, erklärte er, hätte ich Homöopathen willentlich als Dummköpfe hingestellt.

Der hochwirksame Placebo-Effekt

Dennoch: Homöopathie wirkt, aber sie wirkt nicht besser als ein Placebo. Das zeigen Studien und das stellt auch Goldacre nicht in Abrede. Dieser "hoch wirksame und geheimnisvolle" Placebo-Effekt ist ihm denn auch eine weitere ausführliche Abhandlung in seinem Buch wert. Zwei Zuckerpillen bewirken mehr als eine. Aber nicht nur was man bekommt ist wichtig, und wie viel davon, sondern auch das ganze Rundherum.

Eine Salzwasser-Injektion bekämpft Schmerzen effizienter als Zuckerpillen - allerdings nicht etwa, weil Salzwasser in irgendeiner Weise biologisch im Körper agiert, sondern weil eine Spritze ein dramatischerer Eingriff zu sein scheint. Die Farbe von Tabletten, ihre Verpackung, ihr Preis, wer sie empfiehlt und wer sie verabreicht - all das sind nachweisbar entscheidende Faktoren. Der Placebo-Effekt funktioniert auch bei Tieren und Kindern. Und er wirkt keineswegs nur bei den leichtgläubigen anderen.

Es hat keinen Sinn, sich selbst ausnehmen zu wollen, so zu tun, als reagierten nur die anderen so, weil wir nämlich alle auf das Placebo ansprechen. Forscher haben sich mächtig bemüht, in Experimenten und Umfragen so genannte "Placeboresponder", also Leute, die besonders empfänglich sind für Placebos, zu charakterisieren, doch die Resultate hören sich stets an wie ein Horoskop, das auf jedermann zutreffen könnte: "Placeboresponder" sind extrovertierter, aber auch neurotischer, angepasster, aber auch kritischer, gewiefter, kämpfersicher aber auch fügsamer und so weiter. Der "Placeboresponder" ist Jedermann. Sie sind ein "Placeboresponder". Ihr Körper spielt Ihrem Geist Streiche. Es ist Ihnen nicht zu trauen.

Informationen hinterfragen

Das heißt nun weder, dass der Placebo-Effekt grundsätzlich schlecht ist, noch dass wir aufhören sollten, auf ihn zu vertrauen. Allerdings könnten wir uns öfter Gedanken darüber machen, was an teuer beworbenen und verkauften Mitteln wirklich wirkt, meint Goldacre, bevor er weitere Alternativheilmethoden und Ernährungsberater, aber auch die Schulmedizin und die Pharmaindustrie in die Mangel nimmt.

Sein Buch "Die Wissenschaftslüge" hat vor allem ein Ziel, das der an den Artikel im "Guardian" angelehnte Originaltitel "Bad Science" noch unmissverständlicher deutlich macht: Nämlich schlechte Wissenschaft, also schlampige Statistiken, nicht plausible Argumente, schlecht ausgeführte oder nicht wiederholbare Experimente, getürkte Studien, als solche zu entlarven.

Auch wenn der flapsige Kolumnenhumor in der deutschen Übersetzung oft arroganter wirkt als das britische Original - die Anleitung zum kritischen Umgang mit Informationen rund ums Thema Gesundheit liest sich nicht nur unterhaltend und flüssig, sondern auch heilsam lehrreich.

Service

Ben Goldacre, "Die Wissenschaftslüge", aus dem Englischen von Irmengard Gabler, S. Fischer Verlag

Fischer Verlage