Die prägenden Jahre ab 1951

Japanische Meisterregisseure auf DVD

Im Westen bekannt wurde der japanische Film bereits vor knapp 60 Jahren, als Größen wie Akira Kurosawa oder Kenji Mizoguchi mit ihren Samurai-Filmen für Aufsehen sorgten. Jetzt versucht polyfilm mit einer DVD-Edition ein breiteres Licht auf die japanische Filmgeschichte zu werfen.

Die DVD stellt die prägenden Jahre von 1951 bis 1978 anhand dreier Regisseure vor, die hierzulande in Vergessenheit geraten oder völlig unbekannt sind.

Kulturjournal, 04.08.2010

Der erste Farbfilm

Ruhig und beschaulich geht es in dem kleinen Dorf fern von Tokio zu, doch dann wird der Frieden gestört, als die Tochter eines Bauern auf Heimatbesuch kommt. Sie hat in der Hauptstadt als Tänzerin Karriere gemacht und wirbelt den dörflichen Alltag mit ihrem westlichen Lebensstil durcheinander. "Carmen kehrt heim" heißt die Komödie aus dem Jahr 1951 und greift die Widersprüchlichkeiten in der japanischen Nachkriegsgesellschaft parodistisch auf.

Das war eine Zeit des großen Umbruchs, so der Japanologe Roland Domenig, viele seien aus den ländlichen Gebieten in die Städte emigriert, "aber die Verbindung zur Heimat ist stark geblieben. Dieser Film hat dieses Sentiment sehr gut angesprochen."

Damit die grellfarbenen Kleider und der sinnlich rote Lippenstift der jungen Frau vor dem tiefblauen Himmel der japanischen Provinz auch gut zur Geltung kamen, entschied sich das Studio zum Experiment: "Carmen kehrt heim" sollte zum ersten japanischen Farbfilm werden. Der Film sei in zwei Versionen gedreht worden, so Domenig, in einer Farbfilm- und einer Schwarz-Weiß-Fassung. "Der Film hat gen Weg für Farbfilme geöffnet, die sich dann auch schnell durchgesetzt haben."

Historiendramen ab 1952

Und noch ein anderes einschneidendes Ereignis beeinflusste damals die japanische Filmindustrie maßgeblich: 1952 endete die amerikanische Militärbesatzung und damit auch die amerikanische Filmzensur. Die größte Auswirkung davon war die Aufhebung des Verbots von historischen Filmen.

"Carmen"-Regisseur Kinoshita Keisuke wird in der Edition gleich mit fünf Filmen vorgestellt und die zeigen seine Vielseitigkeit. Bekannt war er zwar für seine Melodramen, aber nach 1952 konnte er eben auch Historiendramen realisieren, wie etwa sein Generationen-übergreifendes Epos "Der Fluss Fuefuki". Kinoshita schildert hierin das von Kriegen geprägte 16. Jahrhundert aus der Sicht der Bauern. Sinnlose Gewalt zerreißt da die am Existenzminimum lebenden Familien. Für eine Romantisierung der Samurai ist in diesem Film kein Platz.

Das Leben der Außenseiter

Kämpfe werden auch bei Oshima Nagisa ausgefochten, nur finden die in seiner unmittelbaren Gegenwart statt. Oshima, dem das Wiener Filmmuseum letzten Herbst auch eine groß angelegte Werkschau gewidmet hat, gilt als politischster unter den japanischen Filmemachern. Er zeigt das Leben von Prostituierten, Junkies und Kleinkriminellen in ungeschönten Bildern oder widmet sich den Grabenkämpfen innerhalb der japanischen Linken, wie in seinem Drama "Nacht und Nebel über Japan".

Der Film zeige ein sozialkritisches, aber auch undifferenziertes Bild in vieler Hinsicht, meint Domenig: "Die Helden dieser Filme waren meistens Arbeiterinnen und Arbeiter, und diese Figuren waren natürlich sehr idealistisch gezeichnet. Da gab's dann Widerstand der Neuen Linken."

Der Film kam 1960 in die Kinos, wurde aber nach nur vier Tagen wieder vom Spielplan genommen. Als Grund gab das Studio damals die schlechten Besucherzahlen an - was sich als Vorwand herausstellte. Dahinter stand ein politischer Grund, so Domenig: "Die Entscheidung ist an genau jenem Abend gefallen, an dem der Voorsitzende der Sozialistischen Partei von einem rechtsradikalen Jugendlichen bei einer Wahlkampfrede mit einem Schwert attackiert und tödlich verwundet wurde."

Oshima Nagisa verließ daraufhin das Studio und gründete seine eigene Produktionsfirma. Als führender Vertreter der japanischen Nouvelle Vague fand er zahlreiche Nachahmer.

Aufkommen des unabhängigen Films

All das passierte in einer Krisenzeit des japanischen Kinos. Durch das Aufkommen des Fernsehens kam es nach 1960 zu einem drastischen Einbruch der Kinobesucherzahlen. Als Folge mussten viele Studios zusperren, die anderen setzten nur noch auf publikumswirksame Inhalte und ließen keine Experimente mehr zu.

Genau dieses Vakuum füllten die nun auftauchenden unabhängigen Filmproduktionen. Tabuisierte Themen wie Politik oder Sexualität kommen hier offen zur Sprache und auch stilistisch werden ganz neue Wege beschritten. Man merke einen sehr starken Einfluss des Dokumentarfilms, sagt Domenig, es werde nicht mehr im Studio unter idealen Verhältnissen gedreht, sondern man gehe "on location", man drehte mit natürlichem Licht und mit Handkamera. "Und natürlich bieten diese Filme, die mit viel geringeren Budgets gedreht werden, den Filmemachern selbst größere Freiheiten, ihre Kinovisionen umzusetzen."

Hilfreich für Oshimas Schaffen war seine Ehe mit einer der berühmtesten japanischen Schauspielerinnen der damaligen Zeit, wodurch er in der Filmlandschaft gute Verbindungen hatte und finanziell besser gestellt war als so mancher andere Regisseur. Das machte seiner Experimentierfreude aber keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil. Sein freier Wechsel zwischen dokumentarischen und Spielfilmelementen, seine frei assoziierende Erzählweise und sein politischer Aktionismus waren in ihrer Radikalität ohne Vergleich.

In allen Genres zu Hause

Von einem der großen Autorenfilmer Japans zuletzt noch zu einem Studiohandwerker, der gerade wegen seiner Vielseitigkeit einen Platz in der japanischen Filmgeschichte gefunden hat. Nomura Yoshitaro war in allen Genres zu Hause und fiel gerade nicht durch eine individuelle Handschrift auf. Er inszenierte, was ihm gerade vorgelegt wurde.

Nomura habe seine größten Erfolge in Zeiten gefeiert, wo das japanische Kino die größten Krisen durchstehen musste, mit Großproduktionen, meistens Krimiadaptierungen, so Domenig, "das war dann schon eine Blockbuster-Strategie."

Hochspannend ist da etwa sein "Dorf der acht Grabsteine" aus dem Jahr 1977, ein Krimi mit Horrorelementen: Mysteriöse Todesfälle scheinen mit einem alten Samurai-Fluch in Beziehung zu stehen, ein Detektiv vertraut aber auf Verstand und zähe Ermittlungsarbeit und kann schließlich statt einem Geist den ganz realen Täter stellen.

Alle unsere Filme weisen auf die Zukunft hin, hat Regisseur Oshima Nagisa einmal das Programm seiner Generation umschrieben. Insofern lässt sich diese DVD-Edition auch als Beitrag sehen, um das gegenwärtige japanische Filmschaffen besser zu verstehen.

Textfassung: Ruth Halle