Der neue Roman von Monika Helfer

Bevor ich schlafen kann

"Des Waldes Dunkel zieht mich an", so beginnt der zentrale Satz in Monika Helfers neuem Roman, "doch muss zu meinem Wort ich stehn und Meilen gehen, bevor ich schlafen kann." Mit diesem Buch legt Monika Helfer einen Roman vor, der sich auch als Liebeserklärung an ihre tödlich verunglückte Tochter Paula Köhlmeier lesen lässt.

Kulturjournal, 05.08.2010

"Ein zarter Herr"

Josefine (genannt Josi) Bartok ist Fachärztin für Psychiatrie am Wiener Otto Wagner Spital. Selbst klein und rehäugig, hat sie sich spezialisiert auf Anorexie-Patientinnen, zu denen sie ausgesucht grob ist. Doch dann schlägt das Unglück bei ihr zu: "Brust weg, Mann schwul und tot auch noch. Alt werden ist nichts für Jammerlappen."

Zwischen Depression und Dynamit

Vorläufig noch am Leben, flüchtet Josi in Herrenanzüge und lungert trostlos in ihrer neuen Wohnung herum, denkt nur noch an "die Luft, die frei wird, wenn ich weg bin" und ist süchtig nach den CDs, auf denen Michael Köhlmeier griechische Sagen erzählt. Ihre Kinder, Karla und Bruno, schenken ihr eine Kulturreise nach Hydra, denn dort soll "der Köhlmeier" allabendlich live erzählen.

Josis trockener Humor ist längst in Zynismus gekippt, als sie auf Hydra landet. Nur: Dort gibt es nichts Böses, nichts, woran sie ihre Scharfzüngigkeit üben könnte. "Der Köhlmeier" hat eine "besonders liebe Frau" und zwei Kinder. Das Mädchen, Paula, fasziniert Josi, weil es ebenso gut "starren kann" wie sie selbst. Und weil es ein ferner Spiegel ist, in dem sich die so viel ältere Frau akzeptieren kann.

Wie der Katholik durchs Fegefeuer

Josi möchte von Paula lernen, wie es wäre, wenn sie "ihren Instinkten folgen könnte, unwissend, vertrauensvoll, und wenn nicht jeder Gedanke erst durch das Spiegelkabinett der Reflexionen hindurch müsste wie der Katholik durchs Fegefeuer".

Monika Helfer hat oft über Kinder und Jugendliche geschrieben. Aber in "Bevor ich schlafen kann" gelingt ihr etwas Besonderes: die Sehnsucht einer Mutter nach der Nähe des erwachsen werdenden Kindes aufzugeben - mit liebevollem Blick auf die Freundschaften und Erkundungen des Kindes, auch wenn sie Reisen ins Land erwachsener Schmerzen sind.

Ein Freundschaftssatz

Paula bringt Josis Welt wieder ins Lot. In ihrem Spiegel erkennt Josi, dass man die Wahrheit ertragen und den Schmerz relativieren kann. Mit Paula verbindet sie ein Freundschaftssatz, in dem das Dunkel des tödlichen Sturzes beim Waldspaziergang anklingt: "Des Waldes Dunkel zieht mich an, doch muss zu meinem Wort ich stehn und Meilen gehen, bevor ich schlafen kann, und Meilen gehen, bevor ich schlafen kann."

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