Experte: Datum der Stimmabgabe nicht überprüfbar
"Wiener Briefwahl verfassungswidrig"
Die Briefwahl bei der kommenden Gemeinderatswahl in Wien könnte verfassungswidrig sein. Juristen finden sie zumindest verfassungsrechtlich bedenklich. Der Grund: Briefwähler können auch nach dem Wahltag noch wählen. Das ist zwar verboten, aber nicht kontrollierbar.
8. April 2017, 21:58
Große Zahl an Briefwählern
Für die Gemeinderatswahl in Wien, die in zwei Monaten stattfindet, spielen Briefwähler eine ausschlaggebende Rolle. Wegen der großen Zahl an Briefwählern, mehr als 100.000 werden erwartet, könnte es nach dem eigentlichen Wahltag noch zu Verschiebungen der Stimmenanteile kommen. Denn ihre Stimme muss erst acht Tage nach der Wahl postalisch bei der Wahlbehörde einlagen.
"Taktisches Wählen" möglich
Die Verschiebungen der Wahlergebnisse könnten auch durch taktisches Wählen nach dem Wahltag erfolgen. Denn Briefwähler können - verbotenerweise - auch nach dem allgemeinen Wahlschluss ihre Stimme abgeben. Das ist zwar nicht erlaubt, aber auch nicht kontrollierbar. Für Verfassungsjuristen ist das bedenklich, wenn nicht sogar verfassungswidrig.
"Verfassungswidriges Gesetzesrecht"
Für den Verfassungsjuristen Bernd Christian Funk ist das mehr als bedenklich und problematisch: "Hier handelt es sich um verfassungswidriges Gesetzesrecht." Es sei nicht gesichert und nicht überprüfbar, dass Briefwähler ihre Stimmen bis zum gesetzlichen Wahlschluss abgeben. Damit werde eine Manipulationsmöglichkeit eröffnet, weil man seine Stimme auch in Kenntnis des Wahlergebnisses abgeben könne.
"Hohes Anfechtungsrisiko"
In Wien gibt es erstmals die Möglichkeit zur Briefwahl, die Erfahrungen mit bundesweiten Wahlen lassen eine rege Nachfrage erwarten. Christine Bachofner, Leiterin der Wiener Wahlbehörde, rechnet mit mindestens 100.00o Briefwahlstimmen. Das wären etwa zehn Prozent der Wahlberechtigten in Wien. Das sei schon "ein Bereich realer verfassungsrechtlicher Problematik mit allen Konsequenzen wie einem hohen Anfechtungs- und Aufhebungsrisiko", so Funk. Diese Gefahr nachträglicher Wahlergebnisverschiebungen werde so "nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern geradezu vorprogrammiert".
"Bisher keine Hinweise"
Keine rechtliche Bedenken hat hingegen Christine Bachofner, die Leiterin der Wiener Wahlbehörde: Bisher seien die Bundeswahlen immer ordnungsgemäß erfolgt, es gebe auch keine Hinweise auf ein taktisches oder manipulatives Wählen. Und es wäre dem Wähler nicht erklärbar, warum er bei der Europawahl oder der Bundespräsidentenwahl eine andere Frist haben soll als bei der wenig später stattfindenden Gemeinderatswahl. Und es gebe "noch keine Beweise, dass sich Wähler so abgesprochen hätten, dass es da massive Verschiebungen geben könnte."
Erklärung reicht nicht
Das Wählen nach Wahlschluss ist gesetzlich verboten, jeder Briefwähler unterschreibt und bestätigt das auch mit einer eidesstattlichen Erklärung auf der Wahlkarte. Doch diese Erklärung könne nicht verifiziert werden, gibt Funk zu Bedenken. "Darin liegt eben das Problem." Man sollte da an Lösungen wie Poststempel und ähnliches denken. Wie schon andere Verfassungsjuristen drängt auch Bernd Christian Funk auf eine Änderung der Briefwahl-Regelung.