Kriterien der Bundesländer sind unterschiedlich
Chaos bei Mindestsicherung
Am 1. September tritt in Österreich die bedarfsorientierte Mindestsicherung in Kraft. Vorläufig nur in Wien, Niederösterreich und Salzburg. Jahrelang wurde über die Regelung gestritten. Das Ergebnis bezeichnen Kritiker als Pfusch. Denn der Vollzug ist je nach Bundesland unterschiedlich.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 19.08.2010
Einführung nicht einheitlich
Die Mindestsicherung ist ein wichtiger Schritt, aber das Länderchaos geht weiter, bemängeln Kritiker. In Wien, Niederösterreich und Salzburg kommt die Mindestsicherung mit 1. September. In der Steiermark wird sie erst nach der Landtagswahl beschlossen. In Oberösterreich und im Burgenland wird sie auch erst beschlossen, soll aber rückwirkend gelten. In den übrigen Bundesländern wird die Mindestsicherung ab 2011 eingeführt. Von echter österreichweiter Vereinheitlichung ist aber nach wie vor keine Spur.
Details sind Bundesländern überlassen
Die Mindestsicherung beträgt grundsätzlich 744 Euro pro Monat, aber die Details sind nach wie vor den Ländern überlassen. Wie viel Unterstützung beispielsweise für das Wohnen gewährt wird, hängt vom jeweiligen Bundesland ab. Ebenfalls, ob auch ab dem vierten Kind die pro Kind festgelegten 134 Euro monatlich ausbezahlt werden. Denn manche Bundesländer zahlen weniger aus.
Kritik an der Beantragung
Die Mindestsicherung zu beantragen, ist für die Betroffenen nicht einfacher geworden, so die Kritik. Künftig kann man kann auch einen Antrag beim Arbeitsmarktservice abgeben und nicht nur beim Gemeinde- oder Bezirksamt, aber generell gebe es zu wenig und vor allem zu wenig gut geschultes Personal. Während manche von Sozialmissbrauch sprechen, reden andere davon, dass viele aus Scham und Unwissenheit die bisherige Sozialhilfe nicht beantragt haben, obwohl sie ihnen zugestanden wäre.
Arbeitswilligkeit als eine der Voraussetzung
Begleitmaßnahmen, die den Vollzug der Mindestsicherung bürgerfreundlicher gemacht hätten, sind leider ausgeblieben, so die Kritiker. Das Sozialministerium rechnet damit, dass 270.000 Menschen Anspruch auf Mindestsicherung haben. Wer dazu gehören will, muss arbeitswillig sein und darf maximal 3.720 Euro besitzen. Wer eine Wohnung besitzt, muss nachweisen, dass sie angemessen ist. Wer ein Auto besitzt muss nachweisen, dass er es tatsächlich braucht.
Morgenjournal, 19.08.2010
Experte bestätigt: Zugang schwierig
Martin Schenk, Sozialexperte der Armutskonferenz, sagt im Ö1-Morgenjournal-Interview, dass die neue Mindestsicherung die alte Sozialhilfe in einem neuen Gewand sei. 492.000 Menschen leben in Österreich unter der Armutsgrenze, die bei 900 Euro liegt. Die Mindestsicherung beträgt 744 Euro pro Monat. Für Schenk ist die Mindestsicherung kein Grundeinkommen. Das großes Problem seien die unterschiedlichen Standards in den neun Bundeländern. Ein weiteres Grundproblem sei der Zugang zu Mindestsicherung.
Kritik an Ämtern
Eine Studie der Armutskonferenz habe zu dem Ergebnis geführt, dass die Sozialämter die Menschen schlecht behandelten: Anträge würden nicht angenommen, Ansuchen abgelehnt. Menschen kämen erst durch die Intervention von Hilfsorganisationen zu ihrem Recht. Recht müsse für alle gelten, betont Schenk. Zudem brauche es besser geschultes Personal auf den Ämtern.
Österreich: Armut steigt
Viele Menschen würden Hilfe nicht in Anspruch nehmen: Studien zeigten, dass mehr als 50 Prozent der Anspruchsberechtigten nicht um die Mindestsicherung ansuchten. Je später aber geholfen werde, desto teurer werde die Hilfe. Der Staat müsse hier die Barrieren abbauen. Der Staat müsse signalisieren, dass er Bürger und Bürgerinnen erwarte und nicht Untertanen. Armut steige in Österreich. In der letzten Armutsstatistik habe es eine Steigerung von 100.000 Personen gegeben. Nur weil die Dividenden auf Aktien stiegen, würde es also nicht weniger Arme geben, so Martin Schenk abschließend.
Hundstorfer: "Enorme Fortschritte"
Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) versteht die Kritik nicht. Die Mindestsicherung bringt aus seiner Sicht enorme Fortschritte: einen einheitlichen Richtsatz von 744 Euro pro Monat, Krankenversicherung und Ecard für alle, und erstmals sei definiert, wie viel Vermögen jemand haben darf, damit ihm Mindestsicherung zusteht. Dass zum Beispiel die Beiträge für Wohnen unterschiedlich hoch sind, sei klar, sagt Hundstorfer. Schließlich seien auch die Wohnkosten in Österreich unterschiedlich. "Das ist so."
Mittagsjournal, 19.08.2010
"Pilotprojekte funktionieren"
Auch dass Betroffene ihren Antrag auf Mindestsicherung nun auch beim Arbeitsmarktservice abgeben können, sieht der Sozialminister positiv. Erstmals werde im Vordergrund stehen, dass die Menschen wieder am Arbeitsleben teilnehmen können. Beim AMS heißt es dazu: Wir haben bereits zusätzliches Personal aufgenommen und geschult - wir sind gut vorbereitet. Pilotprojekte in einigen Bundesländern zeigen laut Rudolf Hundstorfer, dass das sehr gut funktioniert.
Schwelle bleibt
Auch den Vorwurf der Armutskonferenz, dass der Vollzug der Mindestsicherung im Vergleich zu jenem der Sozialhilfe nicht verbessert wurde und dass viele aus Scham und Uninformiertheit keinen Antrag stellen, lässt der Sozialminister nicht gelten. Das AMS sei eine Adresse mehr, wo man seinen Antrag abgeben könne. Aber es werde immer irgendwo jemanden geben müssen, das das administrieren muss, so Hundstorfer.