Im Künstleratelier

Zu Besuch bei Erwin Wurm

Spätestens seitdem Erwin Wurm 2006 am Dach des MUMOK ein Einfamilienhaus verkehrt herum wie einen Meteoriten einschlagen ließ, ist er weit über Österreichs Grenzen hinaus bekannt. Derzeit bereitet Erwin Wurm Museumsausstellungen in Turin, Antwerpen, Dallas und Miami vor.

Kulturjournal, 24.08.2010

Wasser aus Zehen

Auf dem Areal seines Landhauses in Niederösterreich stehen locker verstreut einige seiner oft sehr humorvollen Arbeiten, mit denen er den Betrachtern eine neue Wahrnehmung der Realität aufzeigen will. Ein schönes altes Haus liegt da in einer grünen Wiese. Davor ein alter Brunnen, an dem ein zeitgenössischer Wasserspeier angebracht ist: Aus den Zehen eines einsamen Fußes spritzt das Wasser in hohem Bogen in den Brunnen. Als wäre es Blut.

In einiger Entfernung steht eine andere Skulptur von Erwin Wurm: ein lebensgroßer kugelrunder Männerkörper in grellgrünem Pulli - "Der Künstler, der die Welt verschluckt hat" - und hinter einer kleinen Hecke führt Erwin Wurm dann noch zu seinem "Fat house", das mit seinen ausufernden weich aussehenden Mauern ganz offensichtlich an Fettsucht leidet.

Aus früheren Ausstellungen, in denen das Fat house auch in einem Video über seine Existenz als Kunstwerk philosophierte, weiß man, dieses Haus ist nicht nur fett, es ist auch unglücklich. Erwin Wurm erklärt launig: "Das wird mein Ausgedinge."

Delphin auf dem Dach

Etwas weiter kommt man an einem Schuppen vorbei, vor dem ein Boot im Anhänger wartet, als wäre Erwin Wurm ein ganz normaler Bootsbesitzer. Nur dass dieses Boot sich krümmt wie ein springender Delphin. Ein zweites solches Boot kommt in Maissau aufs Dach der Sparkasse, sagt Wurm.

Auf dem Weg zur Werkstätte erklärt Erwin Wurm weiter, er habe derzeit ziemlich viel Druck, weil etliche Ausstellungen anstünden. Ohne Assistenten ginge es nicht. Und schon ist man bei der Werkstätte angelangt, wo zwei Assistenten ein überlebensgroßes Skulpturmodell abschleifen: Ein Mann hat seinen Kopf und Oberkörper komplett in seinem Pullover verschwinden lassen, in dem er sich auf bizarre Weise zusammenkrümmt.

Assistenten in der Werkstatt

Während kleine Skulpturen mit 3D-Scans angefertigt werden können, müssen die Formen der großen Skulpturen mit der Hand modelliert werden, so etwa auch das "Fat car". Eine Maschine schaffe das nicht, so Wurm. "Früher wurden Autos mit Hand modelliert und heute mit Computer", so Wurm, und man sähe den Unterschied, meint er. Wer hätte gedacht, dass auch echte Autos bis vor kurzem noch mit der Hand modelliert wurden? Aus Ton und anderen Kunststoffen. Bis vor zehn Jahren gab es noch den Beruf des Automodelleurs, erzählt Erwin Wurm.

Die kleinen Skulpturen lässt Erwin Wurm in einer Werkstatt fräsen, in der etwa auch die Modelle von Zaha Hadid und andern Architekten gefräst werden.

Eine der mittelgroßen Skulpturen stellt eine Wolke dar, die von einer einzelnen Hand gestützt wird. "Ich unter LSD" ist der Titel. Obwohl Drogen in Erwin Wurms Leben keine große Rolle gespielt haben. Er habe zwar probiert, aber: "Ich bin draufgekommen, das ist für die Arbeit nicht geeignet."

Aus Kasten wird Sofa

Die allerneueste Skulpturenserie von Erwin Wurm sind Möbel. Da hat er etwa in einen alten furnierten Kasten seiner Eltern aus den 1950er Jahren eine Vertiefung geschnitten. Und schon ist aus dem längs am Boden liegenden Kasten eine Sitzgelegenheit geworden, wie der Künstler stolz vorführt. Polsterl rein und fertig ist das Sofa. "Man kann sie richtig verwenden, auch den Schreibtisch."

Der erwähnte Schreibtisch besteht aus der Vorderfront eines solchen alten Kastens, die einfach auf zwei Holzböcken liegt. Wenn Erwin Wurm also umgelegte Kästen zu Sofas oder Tischen umfunktioniert, tut er damit nichts anderes als mit seinen bisherigen Skulpturen: Er ver-rückt die Realität ein bisschen, um sie damit aus den Angeln zu heben. Diese Möbel, deren Trostlosigkeit auf diese Weise ein bisschen transformiert wird, entstehen nebenan in der Tischlerei.

Diese neuen Arbeiten von Erwin Wurm nur als lustig zu bezeichnen, wäre eine Verkürzung, wie bei all seinen bisherigen Arbeiten auch. Er zeigt mit seiner neuen Möbelserie einmal mehr, dass es einfach sehr viele Realitäten gibt und die Realität leicht veränderbar ist. Als er große Philosophen wie Wittgenstein im Zwergerlformat abbildete oder Theodor W. Adorno mit überlebensgroßem Gipskopf und überquellenden Bauchfalten, mühsam in eine 68er-Cordhose gequetscht - ein Grauen für die Schwerstintellektuellen. Allen dilettierenden Lesern intellektueller Texte hat das wohl ein hämisches Schmunzeln entlockt und die Autorität der Denker ein bisschen bröckeln lassen. Auf diese Weise befreit Erwin Wurm die Menschen von manchem Ballast in ihren Köpfen.

Textfassung: Ruth Halle

Service

Ausstellung "Private Wurm", 10. Oktober 2010 bis 30. Jänner 2011, Essl Museum

Essl Museum - Private Wurm