Häupl entschuldigt sich offiziell

Wien entschädigt Missbrauchsopfer

Nach Tirol wird Wien als zweites Bundesland Entschädigungszahlungen an Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch in städtischen Heimen leisten. Das hat Bürgermeister Michael Häupl heute bekanntgegeben. Zudem wird die Stadt für Therapiekosten der Betroffenen aufkommen.

Abendjournal, 24.8.2010

Stadt übernimmt Therapiekosten

Nach Tirol wird Wien als zweites Bundesland Entschädigungszahlungen an Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch in städtischen Heimen oder Privateinrichtungen unter städtischer Aufsichtspflicht leisten. Zudem kommt die Stadt für Therapie- und Beratungskosten der Betroffenen auf, wie Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) am Dienstag in seiner wöchentlichen Pressekonferenz versicherte.

Laut dem nun vorliegenden Bericht der Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) haben sich seit März 84 Gewaltopfer gemeldet, 47 davon waren in Heimen der Jugendwohlfahrt untergebracht. Weitere Opfer können sich nach wie vor bei der KJA melden.

Häupl entschuldigt sich

"Wir sind uns unserer Verantwortung für die schrecklichen Ereignisse, die einigen Menschen widerfahren sind, bewusst", bat Häupl heute die Betroffenen öffentlich um Entschuldigung. Das Leid sei nicht mehr gut zu machen, man werde aber alles unternehmen, um diesen Personen zu helfen und ihnen und ihrer Geschichte Gehör zu verschaffen, versprach das Stadtoberhaupt.

Vorbild "Klasnic-Kommission"

Abgewickelt werden sowohl die Geldzahlungen als auch die Koordination der weiteren therapeutischen Betreuung über den Opferverband "Weißer Ring". Was die Höhe der materiellen Entschädigung betrifft, will man sich an der "Klasnic-Kommission" (Opferschutzkommission der Österreichischen Bischofskonferenz) orientieren.

Diese verfügt über ein Stufenmodell, wobei die Untergrenze bei 5.000 Euro liegt und die Summe bei besonders schweren Delikten nach oben hin offen ist. Die Entschädigungszahlungen in Wien werden jedenfalls mit der KJA abgestimmt, so Udo Jesionek, Präsident des Weißen Ringes und Mitglied der Klasnic-Kommission.

Opfer dürfen trotzdem klagen

"Das wichtigste ist, dass dieses Unrecht nach außen hin anerkannt wird und den Betroffenen eine vorbehaltlose Anlaufstelle zur Verfügung steht", betonte Jesionek. Er lobte zudem, dass die Stadt keine sogenannte Verzichtserklärung verlangt.

Das bedeutet, dass die Betroffenen auch nach Erhalt einer Entschädigung noch vor Gericht gehen können. Weiters verwies der Verbandschef darauf, dass Fälle nur dann an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden, wenn die Opfer dies auch wünschten. Von den eingegangenen Meldungen in Wien war dies bisher 33 Mal der Fall.

Die meisten Fälle in 60ern und 70ern

Laut Jugendstadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) passierten die bereits bekannten Gewalttaten zwischen 1944 und 1997, die meisten davon in den 1960er und frühen 1970er Jahren. Wie aus dem Bericht der KJA hervorgeht, sind die meisten der betroffenen Heime bereits geschlossen. Die sechs noch existierenden Einrichtungen - darunter das August Aichhorn Haus, das Europahaus des Kindes oder das Haus Döbling - seien den heute relevanten sozialpädagogischen Standards entsprechend umstrukturiert worden, wurde versichert.

Um die Geschichte der Heimerziehung aufzuarbeiten, wird die Stadt Mitte September eine Historikerkommission einsetzen. Sie folgt damit einer Empfehlung der Kinder- und Jugendanwaltschaft. Ziel ist es, jene pädagogischen Konzepte und Strukturen zu analysieren, die derartige Misshandlungen ermöglichten und aufrecht erhielten.

Text: APA, Audio: ORF

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