Israelische Ex-Soldaten in Goa
Probleme im Paradies
Sie fallen schon am internationalen Flughafen Mumbai auf: junge Frauen und Männer, die nach der langen Reise ihre Taschen und Rucksäcke umschnallen. Wenn sie aus den El-Al-Flugzeugen aussteigen, ist ihre Kleidung noch sauber und ihre Haare sind noch nicht verfilzt.
8. April 2017, 21:58
Freiheit mit Hindernissen
Viele sind nur wenige Wochen nach Ende ihres mehrere Jahre andauernden Militärdienstes nach Indien geflogen – endlich befreit! Tausende Kilometer entfernt sind viele doch noch gefangen in ihren Erlebnissen aus der Armeezeit.
Jede israelische Frau und jeder Mann ist verpflichtet, zwei beziehungsweise drei Jahre lang der Armee zu dienen. Es ist keine normale Wehrpflicht in einem Staat, dessen Souveränität und dessen Grenzen von innen wie außen ständig bekämpft werden.
Von der Schwierigkeit "normal" zu sein
"Die Zeit als Soldat ist psychisch und physisch sehr hart, man steht dauernd unter Druck, seine Heimat, Freunde und Familie falls notwendig mit der Waffe zu verteidigen. Am Ende des Armeedienstes wird dir dein Gewehr weggenommen, und ab dann sollst du wieder 'normal' funktionieren", meint der ehemalige Scharfschütze Oron G.
Er "funktioniert" noch nicht normal, auch nicht in der paradiesischen Idylle Goas. Der 21-Jährige sitzt vor einer heruntergekommenen, abgelegenen Strandhütte des Full Moon Cafe in Palolem und dreht sich ständig Charras-Joints aus starkem indischen Haschisch, während er erzählt: "Ich trage meine Stofftasche am Strand auf die gleiche Art wie über drei Jahre lang mein Gewehr. Ständig bin ich bereit, mich zu verteidigen, auch im Urlaub."
In der Nacht, so sagt Oron G., träume er häufig von einem Schießeinsatz bei einer Demonstration gewaltbereiter Palästinenser in Hebron und von den vier Wochen im Jahr 2008, als seine Einheit weit in den Norden des Libanon vorrücken musste, auf der Suche nach Hisbollah-Stellungen. Oron G. hält sich von seinen ehemaligen Kameraden fern. Viele von ihnen, glaubt er, sind vom Militärdienst und vom Krieg psychisch krank und verhalten sich auch im Urlaub wie aggressive Kämpfer.
Die wunderschönen Palmenstrände Goas und die hügelige Landschaft im Landesinneren sind seit den 1980er Jahren Hauptziel junger Israelis. "In Israel sind alle Menschen Soldaten", glaubt der 41-jährige Veteran Ronen D.: "Wir stehen ständig unter Strom und sind voller Angst, dass etwas passieren könnte, egal ob du Zivilist bist, oder als Rekrut in der Armee. Wir sind ein kleines Land, das umgeben ist von feindlichen Staaten. Hier in Goa erleben wir zum ersten Mal, befreit zu sein von dieser Angst."
Drogen statt Therapie
Ronen D. kommt seit seinem Armee-Einsatz im ersten Libanonkrieg jedes Jahr in das kleine Fischerdorf Arambol im Norden Goas. Seine Kriegserfahrung, den Einsatz als Infanterist bei der gewaltvollen Besetzung von Beirut 1982, hat er mittels Therapie verarbeitet. Für die junge Generation ist es schwieriger, die Freiheit zu verkraften. Sie versucht, mit sedierenden Drogen wie Charras, LSD oder synthetischem Heroin zu vergessen, was aber die Erinnerung meist nur verstärkt.
Goa war lange Zeit bekannt für Spiritualität suchende Tourist/innen und kiffende Hippies, heute suchen Exsoldaten hier vor allem zweierlei: Ruhe vor ihren Erfahrungen in Zahal, in der israelischen Armee, und den Drogenrausch. Letzteres kann bei der falschen Wahl der Droge oder einer zu hohen Dosierung fatale Folgen haben.
"Flipping Out" nennt man in Israel den psychotischen Zustand junger Exsoldaten, doch geben nur wenige dem Militärdienst die Schuld daran. Die Armeezeit ist für die meisten Israelis ein identitätsstiftendes Element, das sie auch in den Urlaub mitnehmen. "Ich fühle mich hier wie ein König und lebe wie einer!", sagt Eli K., lacht und nimmt einen tiefen Zug aus seiner Wasserpfeife.
Ein starkes Ego
Eli K. reist in Indien nur gemeinsam mit anderen Israelis. Mit und unter ihnen fühlt er sich sicher und stark, auch wenn die Gruppe für Einheimische und andere Touristen bedrohlich wirkt: "Die Armee war die beste Zeit meines Lebens. Dort habe ich gelernt, für mich und andere Verantwortung zu tragen. Ich musste lernen, zu schießen und mich zu verteidigen. Nicht so wie in Europa, wo die jungen Leute verweichlicht sind und in unserem Alter immer noch kindische Dummheiten machen."
Ein über Jahre hinweg aufgebautes Ego lässt sich eben nicht wie eine Dienstwaffe am Ende des Armeedienstes einfach abgeben. Israels traumatisierte Kinder zahlen in Goa dafür den Preis.