Ein Buch als Museum

Pamuks gesammelte Kuriositäten

Als der türkische Autor und Nobelpreisträger für Literatur Orhan Pamuk vor über zehn Jahren die Arbeit an seinem Buch "Das Museum der Unschuld" aufnahm, erwarb er im europäischen Teil Istanbuls ein Haus und begann, die Handlung des Romans mit dem Konzept eines gleichlautenden Museums zu verknüpfen.

Ein einzigartiges Experiment

Die Eintrittskarte erhalten die Leser bereits mit dem Kauf des Buches, denn auf Seite 553 wurde sie abgedruckt. Pamuks Museum funktioniert wie andere Museen auch: Es ist ein Display für Ausstellungsgegenstände, allerdings solche, die er selbst im Lauf der Jahre gesucht, gesammelt oder bei den Altwarenhändlern der umliegenden Straßen erstanden hat. Auf eine ganz ungewöhnliche Art gewährt der Autor damit Einblick in seine Arbeitsweise: Das Sammeln von Dingen ist seine Technik zur Entwicklung der Romanhandlung und ihrer Charaktere.

Ob das wirkliche Museum als Ergänzung des imaginären Raumes funktionieren kann oder ob der gleiche Effekt der Enttäuschung eintreten wird, den wir von Literaturverfilmungen kennen, wenn die individuellen Bilder in unseren Köpfen durch ein einziges vom Verfasser autorisiertes Bild ersetzt werden, wird sich zeigen. Es ist ein Experiment, das bisher noch kein Schriftsteller wagte.

Verzögerungen beim Umbau

Die Eröffnung des Museums musste einige Male verschoben werden, doch im Herbst soll es so weit sein. Noch ist das Haus aber eine Baustelle: Es fehlt das Dach, und an diesem kalten und verregneten Tag im April, an dem Johanna Sunder-Plassmann und die Produktdesignerin Carlotta Werner das Konzept des Museums erläutern, verhindert eine Plastikplane, dass ein Wolkenbruch uns gleich zur Tür hinausspült.

Die beiden jungen Frauen sind seit Monaten damit befasst, in ständiger Rücksprache mit Orhan Pamuk seine Vorstellungen für die Innengestaltung umzusetzen. Wie können Hunderte von Gegenständen so zusammengestellt und inszeniert werden, dass ein sinnvoller Gesamteindruck entsteht?

Von Zigarettenstummeln und anderen Kuriositäten

Das kleine Eckhaus an der Dalgicstraße ist sehr schmal. Über einer Grundfläche von höchstens 70 bis 90 Quadratmeter werden offene Stockwerke eingezogen, an deren Wände für jedes der 83 Kapitel des Buches eine Box mit den wichtigsten der im Kapitel vorkommenden Objekte installiert wird.

Es ist durchaus Skurriles zu erwarten, wie die Vitrine mit den 4.213 Zigarettenstummeln, die von der unglücklichen weiblichen Hauptgestalt des Romans stammen, und die der ebenso unglückliche Ich-Erzähler obsessiv und heimlich an sich gebracht hatte. Angeblich soll jede dieser Kippen sorgfältig präpariert und mit einem begleitenden Satz von Orhan Pamuk wie Schmetterlinge in einem naturhistorischen Museum aufgespießt werden.

Geheimnisvoll und still

Wie es bei kostbaren Objekten üblich ist, darf nur sehr ausgewähltes Licht in einem eher dunklen Raum sie erhellen. Nur dort, wo auch im Roman ein kleines Fenster oder eine Balkontür zur Außenwelt geöffnet wurde, wird Tageslicht ins Museum eindringen. Das "Museum der Unschuld" als einen geheimnisvollen Ort im städtischen Getümmel zu konzipieren, kommt nicht von ungefähr: Wie eine Kirche soll es ein Ort der Stille und Verehrung werden. Wie ein Kino ein Ort der inszenierten Geschichte und Geschichten um die Liebe, in denen überdies ein Teil der Alltagsgeschichte Istanbuls bewahrt wird.

Das Museum als Wohnhaus

Fiktion und Realität liegen nahe beieinander
Schon im Roman gelang es Pamuk, der Fiktion den Anschein des Autobiografischen zu geben, die Grenzen zwischen der Stimme des Autors und der des Ich-Erzählers zu verwischen. Im vorletzten Kapitel des Buches finden nicht nur die gesammelten Fetische ihren Platz - auch der Ich-Erzähler zieht gleich mit ein, um ein schon zum Museum gewordenes Gebäude durch sein Bett, sein Zimmer und seine Anwesenheit wieder in ein Wohnhaus zurückzuverwandeln. Selbstredend geschieht Gleiches im tatsächlichen Museum: Der oberste Stock ist der Raum, von dem aus die Sammlung überblickt werden kann.

"Stell dir vor, als Museumsbesucher kann man da auf der Treppe plötzlich dem Menschen begegnen, der die Sammlung aufgebaut hat! Ist das nicht ganz was Besonderes?", fragt die Hauptperson im Roman. Die Möglichkeit, im wirklichen Museum Orhan Pamuk zu begegnen, wird also nicht auszuschließen sein.