Keine klare Aussage in Interview
Putin deutet Wiederkandidatur an
Ministerpräsident Putin hat der russischen Tageszeitung Kommersant ein längeres Interview gegeben, in dem er über seine Zukunft nachdenkt, den zweiten Chodorkowski-Prozess kommentiert und sich über die Verfolgung von Regimekritikern erstaunt zeigt.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 30.08.2010
Zusehen oder einmischen
Die wichtigste Frage der russischen Politik – übernimmt Putin im Jahr 2012 wieder das Präsidentenamt oder nicht – wird auch in diesem bemerkenswerten Gespräch nicht enthüllt. Aber Ministerpräsident Putin ließ sich doch zwei Punkte entlocken. Erstens: Für ihn gebe es nur die Alternative. Entweder am Ufer des Flusses zu sitzen und zuzusehen, wie etwas zerstört wird und verfällt, oder sich eben einzumischen. Er, Putin, sei für Einmischung. Und zweitens: Er sei sehr an einer Lösung der Präsidentenfrage interessiert, mehr als jeder andere in diesem Land, wie er wohl scherzhaft hinzufügte. Wenn man will, kann man das als Interesse an einer Wiederkandidatur interpretieren. Eine Vorentscheidung ist es aber noch nicht.
Putin gibt sich überrascht
Interessant ist auch Putins Haltung zum zweiten Chodorkowski-Prozess. Ein Prozess, der den bereits seit Jahren einsitzenden früheren Jukos-Besitzer noch einmal für viele Jahre hinter Schloss und Riegel bringen kann. Hier zeigte sich der Ministerpräsident geradezu ahnungslos. Putin wörtlich: "Als ich vom zweiten Prozess hörte, war ich sehr erstaunt und fragte, was das für ein Prozess ist, Chodorkowski sitzt ja schon". Diese Passage macht den Leser insofern ratlos, weil der Fall Chodorkowski immer auch eine sehr persönliche Angelegenheit Putins war und es unwahrscheinlich, sogar völlig ausgeschlossen ist, dass Putin von dem zweiten Prozess sozusagen überrascht wurde.
Versprechungen an Veteranen nicht eingehalten
Manches liest sich im Putin-Interview unterhaltend, weil es eine Distanz zur russischen Realität verrät, die sich ein früherer Geheimdienstmann eigentlich nicht erlauben sollte. Dass Putin einen in Russland von jedermann bekannten Chansonier, mit dem er ein Streitgespräch hatte, vorher kaum gekannt haben wollte, mag ja noch irgendwie akzeptabel sein. Dass Putin aber behauptet, jeder Veteran des Zweiten Weltkrieges habe von der Regierung eine Wohnung geschenkt bekommen, wird den Lesern des Kommersant bitter aufstoßen. Denn jeder weiß, dass die versprochenen Wohnungen in der Regel eben nicht zugeteilt wurden, genau so wenig wie die versprochenen Autos und andere Ehrengaben. Sie wurden zwar angekündigt, kamen aber letztlich nie oder nur in sehr geringem Umfang real zur Verteilung.
"Rechtsstaatliche" Prügel für Demonstranten
Dass Demonstranten eines mit dem Prügel auf die Rübe bekommen, um die saloppe Redensart des Ministerpräsidenten nachzuempfinden, hält Putin für eine direkte Folge des Rechtstaates. Wer just dort demonstrieren will, wo es nun einmal verboten ist, der muss eben mit allem rechnen.
Interview im Auto
Das Interview fand übrigens in einem kanariengelben Lada Kalina statt, mit dem Putin und der Redakteur auf der Trasse Chabarowsk-Tschita, sehr weit im tiefsten Sibirien, unterwegs waren. Putin war am Lenkrad. Es kam, berichtete der Redakteur, rein fahrtechnisch zu kritischen Momenten. Putin kam auf die Gegenfahrbahn, was aber keine Rolle spielte, denn die Trasse war weiträumig für den Normalverkehr gesperrt.