Rundgang durch die Tabakfabrik Linz
Kunst in der "Tschikbude"
Unter dem Titel "Repair" geht das Ars Electronica Festival der Frage nach, ob und wie wir noch zu retten sind. Umweltschutz, grüne Technologien und Auswege aus Finanzkrise und Klimakatastrophe stehen im Zentrum des Festivals. Erstmals wird heuer das riesige Areal der 2009 stillgelegten Tabakfabrik Linz im Rahmen der Ars Electronica bespielt.
26. April 2017, 12:23
80.000 Quadratmeter Areal
Süßlich-schwerer Tabakgeruch erfüllt diese Hallen noch immer, auch wenn die letzten Arbeiter ihre letzte Schicht schon längst beendet haben. Sechs riesige Industriegebäude und ein Kraftwerk dominieren das insgesamt 80.000 Quadratmeter große Areal der stillgelegten Tabakfabrik, im Linzer Jargon auch liebevoll "Tschikbude" genannt. Nun wird das gigantische Gelände im Rahmen des diesjährigen Ars-Electronica-Festivals erstmals bespielt.
Hinter schweren Metalltüren, in einem der vielen Gebäude und in einem der vielen Stockwerke steht etwa eine Reihe reparierter Stühle. Sie erinnern eher an die Überbleibsel eines Flohmarkts als an eine Ausstellung der Ars Electronica. Und doch gehören sie zur Schau der niederländischen Künstlergruppe Platform21.
Alltagsgegenstände reparieren
Das Kollektiv Platform21nimmt die Reparatur unserer Welt, das Thema des diesjährigen Festivals, wörtlich und beginnt mit Gegenständen des Alltags.
"Ständig höre ich Menschen sagen: Mein Großvater konnte alles reparieren und meine Großmutter hat mir immer die Socken geflickt", sagt der niederländische Künstler Arne Hendriks. "Heute tut das niemand mehr, kaputte Dinge werden einfach weggeworfen. Wir wollen den Menschen nun wieder zeigen, wie einfach und normal es ist, Besitztümer selbst zu reparieren." Platform21 repariert kaputte Teller mit Blattgold und löchrige Hausmauern mit Legosteinen.
"Wir wollen alle Shopping-Süchtigen überzeugen, dass reparierte Gegenstände schön sind, weil sie Geschichte haben", meint Hendriks. "Außerdem wollen wir die Menschen wütend machen, indem wir aufzeigen, dass sie wie Kinder behandelt werden, weil ihnen immer mehr die Möglichkeit genommen wird, ihre materiellen Güter zu reparieren. Wer etwa heute ein neues Auto kauft, muss es fahren bis es kaputt geht oder zum Hersteller bringen. Eigenständige Reparaturen sind kaum mehr möglich. Das gilt etwa auch für unsere modernen Mobiltelefone."
Autarke Gemeinschaften
Eine globale Reparatur unserer Welt strebt das Projekt "Neue Arbeit, neue Kultur" an, dem das Ars-Electronica-Festival heuer eine eigene Ausstellung widmet. Unter der Schirmherrschaft des US-amerikanischen Philosophen Frithjof Bergmann versucht die "Neue Arbeit"-Bewegung, lokale und autarke Gemeinschaften zu schaffen, die wie ein Dorf funktionieren. Anstelle gigantischer Fabriken sollen kleinteilige Kommunen die materiellen Güter unserer Welt für den direkten Gebrauch produzieren, so Frithjof Bergmann:
"Bei den Verwirklichungen, die im Augenblick schon im Gang sind, spielt das Internet eine sehr große Rolle, und in dem Sinn ist es auf jeden Fall alles andere als ein Zurückgehen in eine Steinzeit. Woran wir arbeiten ist die Entwicklung einer grundsätzlich anderen Wirtschaft, dass nicht mehr zentral an einem Ort alles hergestellt wird, also weg von der Massenherstellung hin zur kurzphasigen Herstellung von Unikaten, das ist bedeutend sparsamer und unvergleichlich ökologischer."
Cyberarts im Magazin
Insgesamt 500 internationale Künstler bespielen mit ihren Arbeiten jeden noch so versteckten Winkel der stillgelegten Tabakwerke. Die Bandbreite der Werke reicht von kritischen Computerspielen über alternative Transportmittel bis zu neuartigen Methoden der Pflanzenzucht.
Im ehemaligen Magazin der Tabakfabrik etwa präsentiert die "Cyberarts"-Ausstellung auch heuer wieder die Siegerprojekte des Medienkunstwettbewerbs Prix Ars Electronica. Mit seiner Komposition etwa hat der japanische Künstler Ryoichi Kurokawa in der Kategorie "digitale Musik" gewonnen. Ausgezeichnet wurde auch das seit Jahren für Aufsehen sorgende Projekt "ear on arm" des australischen Bio-Art-Körperkünstlers Stelarc. Er hat sich auf seinen Unterarm ein drittes Ohr implantieren lassen, das - mit einem Mikrofon ausgestattet - seine Umgebung auch "hören" kann.
Das schwärzeste Schwarz
Eine ebenfalls preisgekrönte Arbeit stammt von dem belgischen Künstler Frederik de Wilde, der mithilfe von Nanotechnologie das schwärzeste Schwarz der Welt herstellt - ein Schwarz, das Licht fast vollständig schluckt.
"Dieses schwärzeste Schwarz symbolisiert für mich einerseits die Angst vor dem Tod, andererseits die Unendlichkeit unseres dunklen Universums, das gefüllt ist mit völlig unerforschter schwarzer Materie", so de Wilde.
Konzertnacht mit Arvo Pärt
Das Gefühl, nur ein winziges Staubkörnchen im Weltall zu sein, kann sich durchaus auch einschleichen, wenn man das riesige Gelände der ehemaligen Tabakwerke erkundet. Im Rahmen atmosphärischer Architekturführungen wird die Fabrik selbst während des Ars-Electronica-Festivals zum Ausstellungsobjekt.
Zu den Klängen des estnischen Komponisten Arvo Pärt wird auch die lange Konzertnacht, einer der Höhepunkte des diesjährigen Festivals, als akustischer Rundgang durch die Tabakfabrik inszeniert. Auf 80.000 Quadratmetern präsentiert die Ars Electronica in den historischen Hallen der stillgelegten Tabakfabrik Linz zukunftsträchtige Kunst und Visionen zur Rettung der Welt.