Über das Poetische in der Musik
Lieder, Landler, Lausbübereien
Das Schumann-, Wolf- und Mahler-Jahr 2010 macht auf das Poetische in der Musik aufmerksam: Das ist einerseits der Umgang der Musik mit lyrischen Texten, aber auch das Lyrische in seiner den Tönen vorbehaltenen Erscheinungsform. Ganz nahe sind sich Wörtlichkeit und Fühlbarkeit in der Volkskultur.
27. April 2017, 15:40
Fließende Epochenübergänge
Man hüte sich davor, gleich auf Ursprünglichkeit zu rekursieren: Die Texte, welche die Dichter Achim von Arnim und Clemens Brentano zwischen 1805 und 1808 in ihre Sammlung "Des Knaben Wunderhorn" aufnahmen, erweisen sich als kontinuierlich geformte Reflexion unmittelbarer Erfahrung - so unmittelbar, dass sich zwischen den Worten aus alten Zeiten und den Vertonungen Schumanns, Mahlers oder gar Weberns keine Epochengrenzen bemerkbar machen.
Die Vertonung der Ewigkeit
Es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob es nicht das ganz spezielle Verdienst der romantischen Liedkunst ist, dem Zeitlosen Ton zu geben - auch dann, wenn sich der Musiker der poetischen Kunst eines Genossen desselben Jahrhunderts zuwendet, wie Wolf im Falle seiner reifen Eichendorff-Gesänge oder der jugendlich-suchenden Vertonungen Lenau'scher Gedichte.
Ist denn nicht gerade die bei Lenau immer wieder Wort gewordene Sehnsucht das Zeitlose schlechthin, verankert im Erfahrungsschatz liebender wie einsamer Menschen? Der österreichisch-ungarische Lyriker "verdichtet" sie im wahrsten Sinn des Wortes in seinen Hinwendungen zu Erscheinungen der Natur wie zur Weite einer Landschaft sowie zu den optischen und akustischen Vorkommnissen im Schilf.
Tanzend zur Selbsterfahrung
Wort und Musik gehen den Gefühlen und Gedanken nach und eröffnen damit neue Möglichkeiten des Spürens. Der Tanz leistet immer wieder die besten Dienste, um sich durch ein solches Spüren seiner selbst und seiner Zugehörigkeit zu einer identitätsstiftenden Gruppe zu versichern.
Durch die Musik geordnet in der Abfolge seiner Schritte gewährt er innerhalb dieser Ordnung ein hohes Maß an Entfaltung, die notwendig ist, um die Schritte in der eigenen möglichen Form richtig setzen zu können. Die österreichischen Landler in ihrer erstaunlichen Vielfalt verweisen nachdrücklich darauf.
Anton Bruckner hat als noch nicht 20-jähriger Schulgehilfe im Mühlviertel dergleichen selbst gegeigt und sich auch Aufzeichnungen davon gemacht - in seiner damals schon klaren und um Ordnung und Überschaubarkeit bemühten Schrift.
Hang zum Humor
Ordnung spüren zu dürfen, wo keine ist, erfordert Humor. Schostakowitsch ist vielleicht der Humorist des 20. Jahrhunderts, sofern man Humor als philosophische Tugend versteht: Was er in seiner im Geheimen geschriebenen Kantate "Antiformalistischer Rajok" an Lausbübereien anstellt, weist nicht nur den Meister der Musik aus, sondern macht auch eine realistische Poetik offenbar, die sich geistvoll des feinen Nadelstiches bedient - zu Recht: Denn wer nicht hören kann, der soll fühlen.