Erich Hackl als Übersetzer
Wenn Autoren zur Waffe greifen
Als Autor und als literarischer Übersetzer setzt sich Erich Hackl intensiv mit dem Literaturland Argentinien auseinander. "Ex Libris" hat er verraten, warum man sich auf Argentinien als Gastland bei der Frankfurter Buchmesse besonders freuen darf.
8. April 2017, 21:58
Erich Hackl im Interview mit Florian Müller
"Na das Wesentliche, glaub' ich, ist die Gewalt: Gewalt, die fundamentaler Bestandteil war der Unabhängigkeitsbewegung..."
Rodolfo Walsh übersetzt
Erich Hackl ist bekannt für seine akribisch recherchierten Geschichten und bewegt sich selbst als literarischer Autor immer auf dem Pfad der Fakten. Diese Recherchen führten ihn schon öfter nach Argentinien, etwa mit "Sara und Simon" 1995 oder "Als ob ein Engel" 2007. Auch in zahlreichen Erzählungen sind die sozialen und politischen Kämpfe des Landes in den 1970er Jahren Thema.
Zur Frankfurter Buchmesse präsentiert er sich mit dem Tatsachenbericht "Das Massaker von San Martín" von Rodolfo Walsh auch wieder als exzellenter Übersetzer. An Argentinien fasziniert ihn, dass viele arrivierte Autoren nicht nur zur Schreibmaschine, sondern auch zur Waffe gegriffen und sich der Guerilla angeschlossen haben. Nicht wenige von Ihnen, wie Haroldo Conti, Paco Urondo und eben auch Rodolfo Walsh wurden dafür von den Militärs ermordet.
Das Schreckensregime der Junta
In der argentinischen Literatur spiegle sich jene Gewalt wieder, die auch die Geschichte des Landes geprägt hat: "Gewalt, die fundamentaler Bestandteil war der Unabhängigkeitsbewegung; die fundamental war in der Ausrottung der indigenen Bevölkerung; Gewalt, die sich immer widergespiegelt hat im Kampf zwischen Buenos Aires und dem Inneren des Landes; in den Kriegen, die Argentinien gegen Nachbarstaaten geführt hat; und dann im 20. Jahrhundert die Abfolge von Diktaturen, nur kurzzeitlich unterbrochen von demokratischen Regierungen", so Hackl.
Eine der blutigsten Diktaturen war jene der Militärjunta von 1976 bis 1983, die 30.000 Menschen verschleppte und ermordete, unter ihnen natürlich zahlreiche Autoren und Verleger. Zwischen jenen Schriftstellern, die im Land weiterarbeiteten und jenen, die ins Exil gingen, entwickelten sich oft heftige, mitunter auch polemische Debatten. Der Bericht über die Verbrechen der Generäle mit dem Titel "Nunca más" ("Nie wieder") im Jahr 1984 brachte dann die im Volksmund geläufige Theorie von den "zwei Dämonen" nachhaltig ins Wanken. War man bisher oft der Meinung, das Land würde zwischen der extremen Linken (der Guerilla) und der extremen Rechten (den Militärs) zerrieben, setzte sich doch weitgehend die Erkenntnis durch, dass das Schreckensregime der Junta in ihrer Brutalität einzigartig war, und dass das repressive Klima im Land bereits vor 1976 begonnen hatte.
Krise von 2001 veränderte die Verlagslandschaft
Diese Diktatur, das zeigen auch die anlässlich der Frankfurter Buchmesse erscheinenden Übersetzungen ins Deutsche, ist auch bei den jungen argentinischen Autoren ein sehr präsentes Thema. Die Art und Weise, wie es behandelt wird, ist allerdings sehr unterschiedlich. In den phantastischen Kurzgeschichten von Samanta Schweblin ist das "Verschwinden" von Personen, das in Argentinien mit dem Verschleppen durch die Militärs assoziiert wird, in den Augen von Erich Hackl nichts anderes als ein literarisches Versatzstück, das allerdings keinen politischen Anspruch stellt.
Im Gegensatz dazu thematisiert Félix Bruzzone in seinem Erzählband "76" sein eigenes Schicksal als Sohn von "Verschwundenen", der im Jahr des Putsches geboren ist. "Vielleicht liegt er literarisch über den anderen jungen Autoren, weil er auch etwas zu sagen hat", so Hackl.
Ein starkes Thema in der jungen argentinischen Literatur ist auch die Krise von 2001, in der die gesamte argentinische Wirtschaft zusammenbrach. Sie hatte für Erich Hackl eine sehr positive Neuordnung der Verlagslandschaft zur Folge: Multinationale, meist in Spanien ansässige Verlage zogen sich zurück; kleine, nationale Verlage konnten sich etablieren und publizierten andere Autoren, aber auch andere literarische Genres abseits des Romans, die den spanischen Verlagen nicht exportfähig erschienen waren. Die jungen argentinischen Autoren publizieren aber nicht nur in Büchern, sondern vor allem im Weblog: Ihre Sprache ist schnell, fast aliterarisch, meint Hackl. Und diese Sprache findet sich dann auch in den gedruckten Büchern wieder, die sehr stark an den Biografien ihrer Verfasser entlang geschrieben sind, so der Autor.
Service
Anthologie, herausgegeben von Timo Berger und Rike Bolte, "Asado Verbal. Junge argentinsche Literatur", Verlag Klaus Wagenbach
Félix Bruzzone, "76", Erzählungen, aus dem Spanischen übersetzt von Markus Jakob, Berenberg-Verlag
Rodolfo Walsh, "Das Massaker von San Martin", übersetzt von Erich Hackl, Rotpunkt Verlag
Erich Hackl, "Als ob ein Engel", Diogenes
"'Der Boxer' und andere Brutalitäten": Florian Müller berichtet vom Gastland Argentinien bei der Frankfurter Buchmesse; Freitag, 22. Oktober 2010, 19:00 Uhr, Literturbuffet Lhotzky, Taborstraße 28, 1020 Wien
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