Forschen in der Wildnis
Die versunkene Stadt Z
David Grann sucht in seinem Buch "Die versunkene Stadt Z" nach einem sagenumwobenen Ort. Er begab sich auf die Spuren von Percy Harrison Fawcett und reiste in den Amazonas, um mehr über die Person und die Stadt herauszufinden, sowie das Rätsel zu lösen.
8. April 2017, 21:58
Ungeeignet für die Expedition
Dass David Grann nicht für die Wildnis geboren ist, sieht man ihm an, und er ist sich dessen auch völlig bewusst. Der Gedanke, dass sich jemand so Unsportlicher wie er durch den Dschungel schlage, sei unglaublich, meint er.
Er interessiere sich weder für die Jagd noch für Camping, erklärt der Journalist, der für das Magazin "The New Yorker" schreibt. Er sei ein Großstadtmensch. Er schätze seine Klimaanlage, sein chinesisches Essen zum Mitnehmen und Sport im Fernsehen. Undenkbar also, dass ausgerechnet er sich auf die Spuren von Percy Fawcett begeben sollte.
Genau das machte David Grann für sein Buch "Die versunkene Stadt Z", in dem er dem rätselhaften Verschwinden des britischen Erforschers und Abenteurers im Regenwald des Amazonas, Oberst Percy Harrison Fawcett, nachgeht.
Besessen von Fragen
Was hat den Journalisten dazu bewogen, die Großstadt samt Klimaanlage hinter sich zu lassen? Er begeistert sich für spannende Geschichten, und wenn es dabei noch ein Geheimnis zu lüften gibt, dann packt ihn die Leidenschaft.
"Ich habe für 'The New Yorker' an einer Geschichte über den mysteriösen Tod von Sherlock Holmes gearbeitet. Dabei ist mir der Name Percy Harrison Fawcett untergekommen. Er wurde als eine Inspirationsquelle für Conan Doyles Roman 'Die vergessene Welt' angeführt. Ich kannte das Buch und wurde daher neugierig. Ich habe dann den Namen Fawcett in historische Datenbanken getippt und fand lauter verrückte Überschriften, wie etwa: 'Fawcett und Gefährten verschwinden ins Ungewisse'. Oder: 'Wieder eine Fawcett-Suchexpedition verschwunden'. All das hat mich fasziniert, und so nahm meine Besessenheit ihren Anfang", sagt der Autor.
David Grann kann in seinem Buch zwar nicht alle Rätsel um Fawcett lösen, doch seine Suche nach Antworten - zunächst in Archiven und Bibliotheken und später im Dschungel - liest sich so spannend wie die klassischen Berichte früherer Entdecker und Abenteurer.
Ein abenteuerlustiger Landvermesser
Percy Fawcett war ursprünglich ein britischer Landvermesser und hatte sein Handwerk bei der Royal Geographical Society in London gelernt, wo zur Ausbildung auch die Grundbegriffe der Spionage gehörten.
1906 unternahm Fawcett seine erste Reise nach Südamerika. Die Amazonas-Region war einer der letzten weißen Flecken auf der Landkarte. Eine Folge davon war die unklare Grenze zwischen Bolivien und Brasilien. Diese festzustellen, war der erste Auftrag des Landvermessers.
"Er unternahm diese Expeditionen unter außerordentlich schwierigen Bedingungen", erzählt Grann. "Meist starb etwa die Hälfte von Fawcetts Begleitern entweder an Krankheit oder an Hunger - er hat oft darüber geschrieben, wie er die Toten am Ufer des Flusses begraben hat. Vermessen und Kartografieren waren also äußerst schwierige Aufgaben. Er wurde damit berühmt, noch ehe er nach der Stadt Z zu suchen begann. Man nannte ihn den David Livingstone des Amazonas."
Die Stadt im Regenwald
Nach mehreren Expeditionen kam Percy Fawcett zur Überzeugung, dass es im Amazonas eine Stadt gegeben haben muss. Er nannte sie Z. Städte sind die Ausprägung von Hochkultur, und laut der damaligen Lehrmeinung hat es diese im Regenwald nie gegeben.
Diese Ansicht wurde übrigens erst vor etwa zehn Jahren revidiert. Als Argument gegen die Existenz von Städten wurde beispielsweise angeführt, dass im Amazonas nur kleine Gruppen von Menschen leben und dass sich der Boden wegen der vielen Überschwemmungen und der dichten Vegetation nicht für die Landwirtschaft eigne.
Fawcett kam zu einer anderen Überzeugung, wie David Grann berichtet: "Er hat aus verschiedenen Indizien geschlossen, dass es am Amazonas einst eine alte Zivilisation gegeben haben muss. Er fand beispielsweise Keramik-Bruchstücke. Er stieß im Dschungel zu Indianerstämmen vor, die noch nie mit Weißen Kontakt gehabt hatten. Er war von ihrer Kultur beeindruckt. Ihm fiel auch auf, dass die Stämme bevölkerungsreich waren, weil sie noch nicht durch eingeschleppte Krankheiten dezimiert worden waren."
"Die Eingeborenen hatten beeindruckende Anbaumethoden entwickelt". so Grann weiter. "Fawcett und seine Gefährten litten oft Hunger, doch die Indianer hatten mehr als genug Nahrung. Er hielt das für einen der Beweise dafür, dass im Amazonas sehr wohl große Populationen leben konnten."
Der Oberst studierte außerdem die Reiseberichte aus den Zeiten der spanischen Konquistadoren, die fieberhaft nach den Reichtümern des sagenumwobenen El Dorado gesucht hatten. Die Autoren dieser Berichte erzählten auch von Städten, Straßen, Brücken und Kunsthandwerk.
1924 brach Percy Fawcett gemeinsam mit seinem 21 Jahre alten Sohn zu seiner letzten Suche nach der Stadt Z auf und ward nie mehr gesehen. Bis ins 21. Jahrhundert machten sich periodisch Suchexpeditionen auf den Weg, manche kamen nie mehr zurück.
Hilfe aus Wales
Die größte Schwierigkeit bei der Suche nach dem Erforscher bestand schon darin, herauszufinden, in welcher Region des Mato Grosso er nach der Stadt Z zu suchen gedachte. David Grann war der erste, der dieses Rätsel löste.
"Ich habe schließlich Fawcetts Enkelin aufgespürt, eine bezaubernde Frau, die in Wales lebt. Sie hat mir in einem Abstellraum einen alten Koffer gezeigt. Drinnen lagen die geheimen Tage- und Logbücher ihres Großvaters. Sie hat mir erlaubt, sie zu lesen. Sie enthielten eine Fülle von Hinweisen, die halfen, die Geheimnisse von Fawcetts Leben und seinem Tod zu verstehen. Und außerdem hatte er in seinem Tagebuch die genauen Koordinaten, wo er suchen wollte, vermerkt", erklärt er seine Vorgangsweise.
Besuch im Amazonas
Grann gelang es also tatsächlich, Fawcetts Spuren zumindest eine Zeit lang zu folgen. "Ich war selbst überrascht, wie viel Information ich zusammentragen konnte. Ich suchte beispielsweise die gleichen Indianerstämme auf wie Fawcett. Bei den Bakairi lebte eine sehr alte Frau. Alle haben gesagt, ich müsse unbedingt mit ihr sprechen. Sie wusste selber nicht genau, wann sie geboren war. Aber sie muss etwa 100 Jahre alt gewesen sein", berichtet der Abenteurer.
"Als diese Frau ein kleines Mädchen war, ist Fawcett durch ihr Dorf durchgekommen. Sie hat mir erzählt, woran sie sich von damals erinnert. Sie ist vermutlich der letzte noch lebende Mensch, der Fawcett und seine Gruppe mit eigenen Augen gesehen hat."
Hilfe von der Wissenschaft
Erst die moderne Forschung konnte bestätigen, dass Percy Fawcett mit seiner Suche nach der Stadt Z nicht so falsch gelegen ist. Der US-Anthropologe Michael Heckenberger forscht seit mehr als zehn Jahren nach Spuren von alten Hochkulturen in der Region.
"Heckenberger hat mir die Überreste von 20 präkolumbianischen Siedlungen gezeigt, die er gefunden hat. Sie existierten zwischen etwa 600 und 1500 nach Christus. Es gab Straßen, Dämme, Brücken, Keramik. Es könnte auch Stadtmauern gegeben haben. In diesen Gartenstädten konnten zwischen 2.500 und 5.000 Menschen leben. Das heißt, sie wären mit mittelalterlichen Städten in Europa vergleichbar gewesen", meint David Grann.
Ungeklärter Name
David Grann ist der Lösung des Rätsels um das Schicksal des Abenteurers so nahe gekommen, wie es angesichts der Umstände möglich ist. Ein Geheimnis vermochte der Autor jedoch nicht zu lüften: "Fawcett hat nie erklärt, warum er die Stadt Z genannt hat. Ich finde, das passt auch zu ihm. Er hatte etwas für den Reiz der Verlockung und für Romantik übrig. Er sah sich selber als mythische Figur. Eine Erklärung hätte die Romantik zunichte gemacht."
"Vielleicht steckt auch ein tieferer Sinn darin, dass Z der letzte Buchstabe des Alphabets ist und die Region das letzte unerforschte Gebiet darstellte", meint Grann. "Aber eigentlich weiß ich nicht, warum er auf Z gekommen ist. Ich habe nirgendwo eine Begründung dafür gefunden."
Service
David Grann, "Die versunkene Stadt Z. Expedition ohne Wiederkehr - das Geheimnis des Amazonas", aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Henning Dedekind, Kiepenheuer & Witsch Verlag.
Kiepenheuer & Witsch