Wer war Angie?

Das Mädchen aus dem Song

Der renommierte Musikjournalist und Autor Micheal Heatley beschreibt in seinem Buch jene Frauen, die Jagger, Bowie, Lennon und Co. dermaßen bewegt haben, dass sie Lieder über sie geschrieben haben. Er untersucht, wer sie waren und was aus ihnen wurde.

Namen ohne Gesichter

Sie heißen Angie, Lola, Suzanne oder Diana. Sie sind bezaubernd, entzückend, gemein oder unerreichbar. Über ihre faszinierenden Reize, ihren inspirierenden Charakter und ihre schillernde Persönlichkeit haben wir unzählige Male gehört und dennoch kaum je erfahren, wie oder wer sie wirklich sind.

Diana Ayoub war 18, als sich der erst 15-jährige Paul Anka in Ottawa unsterblich in sie verliebte. Der Song wurde ein Evergreen, ein Paar wurden sie nie. Wenige Jahre später zog in Montreal die Ausdruckstänzerin Suzanne Verdal die Aufmerksamkeit des jungen, aufstrebenden Poeten Leonard Cohen auf sich. Auch seine Leidenschaft blieb unerfüllt. Mehr als ein paar gemeinsam genossene Teezeremonien waren für den glutäugigen Barden nicht drinnen. Wie zum Trost machte das Lied den spätberufenen Musiker wenigstens zum Star.

Heloisa Pinheiro war Anfang der 1960er-Jahre ein Teenager, der täglich am Café Veloso vorbei zu Rios schönsten Stränden spazierte. Ein Schauspiel, das die dort verharrenden Freunde, Dichter Vinicius de Moraes und Musiker Antonio Carlos Jobim, zu einem Lied animierte, das ein Welthit wurde: "The Girl From Ipanema". Die Kurven der Heloisa dürften vor allem "Playboy"-Lesern in bleibender Erinnerung sein.

Verschiedene Reaktionen

Die Mädchen aus den Songs, die die ganze Welt nachsummen kann, gingen ganz unterschiedlich mit ihrer zu allgemeinem Liedgut gewordenen Huldigung um. Von schwerem Schock und lebenslangem Rückzug bis zum Start einer eigenen Karriere, auf dem solcher Art gut eingeführten Namen aufbauend, ist da alles dabei.

Zumeist hängt die Reaktion natürlich auch vom Inhalt des Liedes ab. Ob es wie in Bruce Spingsteens "Brilliant Disguise" um das nahende Ende einer Ehe geht, wie in Bob Dylans "Don't Think Twice It's All Right" um eine schmerzhafte Trennung oder wie in "Sweetest Thing" von U2 um einen vergessenen Geburtstag: Die Themenpalette reicht von tiefer Trauer bis zu totaler Banalität. Die musikalische Umsetzung gelang jedenfalls durchgehend prächtig, sonst wären ja keine Welthits daraus geworden.

Die angeschmachtete Jugendliebe, die zufällige Bekanntschaft, das Mädchen aus der Nachbarschaft oder die langjährige Ehefrau - auch die Beziehungsart des Sängers zur Besungenen könnte unterschiedlicher nicht sein. Oft war auch lange Zeit gar nicht klar, wer denn überhaupt gemeint ist.

Rätsel um Angie

Als sich dann die ganze Welt fragte, welche "Lola", "Carrie Anne", "Maggie May", "Sharona" oder "Rosanna" da so herzergreifend gerühmt oder verachtet wurde, rankten sich natürlich schon bald die wildesten Gerüchte um die eventuell Betroffene. Eine der härtesten Nüsse, die diesbezüglich zu knacken war, stammte aus den Federn von Mick Jagger und Keith Richards: "Angie".

Während die einen vermuteten, dass die etwas schmalzig geratene Ballade für Richards damalige Freundin Anita Pallenberg geschrieben wurde, waren sich andere sicher, dass als Inspirationsquelle nur Jaggers Ex Marianne Faithfull in Frage käme. Wiederum andere wollten ganz genau wissen, dass da gar keiner Verflossenen, sondern einer ganz anderen Leidenschaft nachgeweint wurde. "Angie" war schließlich auch ein Codename für Kokain.

Ein Gerücht hielt sich jedoch länger als alle anderen: Der Song handelt tatsächlich von David Bowies damaliger Ehefrau Angela. In den regen Zeiten freier Liebe und gleichgeschlechtlicher Experimente Anfang der 1970er Jahre soll sie dennoch gar nicht besonders fröhlich reagiert haben, als sie Mick Jagger und ihren Göttergatten nackt in ihrem Bett erwischte.

Als Trost soll der Rolling-Stones-Sänger ihr den Song gewidmet haben. David Bowie wiederum, der seiner Angela schon Jahre zuvor den Song "The Prettiest Star" widmete, ließ diese Geschichte über seinen Anwalt dementieren.

Viele besungene Frauen

In den insgesamt 50 beschriebenen "Klassikern der Pop- und Rockgeschichte" wimmelt es nur so von prominenten Frauen: "Je t'aime" schrieb Serge Gainsbourg ursprünglich Brigitte Bardot auf den Leib. Als deren Gemahl Gunther Sachs Einspruch erhob, sprang Jane Birkin ein.

In "Beware Of Young Girls" rechnet Dory Previn mit Mia Farrow ab, die ihr den Ehemann ausspannte. The Hollies wiederum besangen in ihrem Hit "Carrie Anne" tatsächlich eine Marianne: Marianne Faithfull.

Gleich zwei schönen, berühmten Frauen widmete ein untersetzter Ex-Boxer das Lied "Uptown Girl": Zuerst erobert Billy Joel das Herz von "The Body" Elle MacPherson. Danach war er mit einem weiteren Topmodel, Christie Brinkley, zusammen. Als es mit der Beziehung ernster wurde, ließ der Sänger schlauerweise das "s" des ursprünglichen Songtitels "Uptown Girls" weg.

Fast keine Langzeitbeziehungen

Wenn man die Schicksale von rund 50 Frauen auf knapp 250 Seiten durchmisst, fällt vor allem eines ins Auge: Stars halten kaum eine Beziehung wirklich lange durch, mit Ausnahme vielleicht von Johnny Cash, Bono Vox und Peter Alexander.

Selbst die innigsten Liebeserklärungen in Liedform haben oft nicht geholfen, um diese Leidenschaft zu prolongieren. Der Tourtross zog weiter, und mit dem nächsten Album folgte für viele auch die nächste Affäre.

Dass im Showbusiness Kurzzeitbeziehungen an der Tagesordnung sind, haben wir natürlich auch schon vor dieser Lektüre geahnt und bei einigen besungenen Damen haben wir auch schon gewusst, wer dahinter steckt. Doch all diese Biografien in kompakter Form nachzulesen macht Spaß, weckt Erinnerungen und klärt Missverständnisse auf, wie etwa jenes um diesen Superhit von "The Police":

Viele Hörer betrachteten "Every Breath You Take" als Hymne an die absolute Hingabe, als folgte der Sänger seiner Angebeteten wie ein treuer Hund. Aber als Sting sich zu der Bedeutung des Textes äußerte, beschrieb er das Lied als einen "Song über Eifersucht und Besessenheit, einen düsteren, bösen Song vor einer romantischen Kulisse". Sting fand es immer äußerst amüsant, wenn Fans seinen Hit als Song für ihre Hochzeit auswählten.

Service

Michael Heatley, "Das Mädchen aus dem Song. Angie, Lola, Rita, Suzanne und Maggie May - und welche Geschichte sich dahinter verbirgt", aus dem Englischen von Madeleine Lampe und Thorsten Wortmann, Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf.

Schwarzkopf & Schwarzkopf - Das Mädchen aus dem Song