Am 26.September läuft Baustopp aus

Israel/Palästina: Leben mit den Siedlungen

Zehn Monate lang hat Israel in seinen Siedlungen im Westjordanland einen partiellen Ausbaustopp eingehalten. Durch diese von den USA geforderte Geste sollte es den Palästinensern erleichtert werden, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Und am 26. September, also morgen, läuft der Ausbaustopp schon wieder ab.

Mittagsjournal, 25.09.2010

Baustopp ist nur theoretisch

Schilo ist eine mittelgroße jüdische Siedlung mit rund 2.000 Einwohnern, einer von ihnen ist Israel Medad, ein altgedienter Aktivist der Siedlerbewegung. Er ist sichtlich zufrieden mit dem, was er von einem Schild liest, das an einem Abhang am Rand der Siedlung steht: "Hier entstehen 12 Einheiten zu je 5 Zimmern mit Panoramablick usw. usw. und die letzte Zeile ist für mich die wichtigste: die Arbeiten beginnen sofort nach dem Ende des Baustopps." Die Bauarbeiten hätten zwar in den letzten zehn Monaten geruht, sagt er, aber man habe die Zeit genützt, um Pläne zu zeichnen, Land zu vermessen, Anträge vorzubereiten: "Die Ingenieurabteilungen haben Überstunden gemacht. Hunderte von Genehmigungen, Pläne für neue Gebäude, für die Erweiterung von alten Gebäuden – diese ganze Arbeit ist gemacht worden."

Viele Ausnahmen von "Baustopp"

Auch im Gelände gab es keinen totalen Stillstand. Rechts unten machen sich ein paar Arbeiter an zwei Reihen von je neun halbfertigen Häusern zu schaffen. Bei Beginn des Baustopps waren schon die Fundamente gelegt, und nach den Kriterien, die von den USA akzeptiert wurden, durften begonnene Arbeiten fortgesetzt werden. Auch die Baustelle gleich bei der Ortseinfahrt entspricht den Spielregeln: „Volksschule“ steht auf einem Schild, und öffentliche Gebäude waren von dem Baustopp ja ausgenommen.

Kleine Siedlungen könnten geräumt werden

Schilo ist eine von rund 40 Siedlungen im nördlichen Westjordanland, das die Israelis Schomron nennen, was im westlichen Sprachgebrauch mit Samaria übersetzt wird. Insgesamt 90.000 Juden, etwas weniger als die Hälfte von ihnen religiös, leben in dem steinigen Hügelland um die palästinensische Großstadt Nablus. Die gewundene Straße Nummer 60 bildet die Nord-Süd-Achse. An den Kreuzungen warten jüdische Siedler mit Schläfenlocken und arabische Frauen mit Kopftüchern in der brütenden Hitze darauf, dass jemand sie mitnimmt. Die verstreuten, zum Teil sehr kleinen Siedlungen dieser Gegend würden im Falle einer Friedensregelung mit den Palästinensern vielleicht geräumt werden müssen, eben weil sie nicht zu jenen dicht bewohnten Siedlungsblöcken gehören, die sich unmittelbar ans israelische Kernland anschmiegen. Sie wären der Kontinuität eines palästinensischen Staates im Weg.

Siedlungen: Billige Wohnungen für junge Paare

Kaum jemand hier glaubt aber, dass es jemals zu einer Räumung kommen kann, sicher nicht in Ariel: Mit seinen 19.000 Einwohnern, einer Hochschule und einer Industriezone ist es die inoffizielle Hauptstadt der Siedlungen in Samaria. Chen Kedem ist die Sprecherin des Rathauses von Ariel: "Der Baustopp hat die Menschen hier schon stark getroffen. Wenn jemand noch ein Kind bekommt und ein Zimmer dazu bauen will und das nicht kann, dann tut das weh. Und es gibt eine gewaltige Nachfrage nach Wohnungen in Ariel. Wir bekommen viele Anrufe von jungen Paaren, die in unserer Stadt wohnen wollen, und wir haben ihnen im Moment leider nichts anzubieten." Die Nachfrage hat sicher auch ideologische Gründe, wohl noch mehr aber einfach finanzielle. Eine eigene Wohnung oder gar ein Häuschen mit Garten können sich junge Familien in den israelischen Ballungszentren einfach nicht leisten, in den Siedlungen ist alles viel billiger.

"Würde mit palästinensischem Pass leben"

Seine eigene, ein bisschen gespielt naive Ideologie hat der Weinbauer Nir Lavi. Er möchte am liebsten nur seinem Geschäft nachgehen und mit den Palästinensern in Frieden leben, und dazu soll am besten alles so bleiben, wie es ist: "Wir sehen das hier als einen normalen Teil von Israel, nicht umstritten, und diese Verhandlungen, die sind nicht so gut für uns Unternehmer, weil dadurch die Fundamentalisten unruhig werden. Das ist eine Tourismussaison, und wenn jetzt Steine fliegen, dann wollen die Menschen nicht herkommen." Lavi ist seit 1998 als Landwirt in der Gegend. Vor drei Jahren hat er eine kleine Winzerei gestartet, und oben auf dem windigen Har Bracha, dem Berg des Segens, führt er in einer braunen Bretterhütte eine Art Gaststube, wo man seine Weine kosten kann. Sein neuestes Produkt aus Cabernet Sauvignon-Trauben nennt er "Herzländer", weil man sich hier genau im Herzen des Landes Israel befinde. Seine Gäste sind bunt gemischt, sagt er: Siedler, Israelis aus Tel Aviv, christliche Pilger, die das nahe Dorf der Samaritaner besuchen. Er wäre auch bereit, mit einem palästinensischen Pass zu leben, wenn er nur hier bleiben kann, versichert Lavi.

Siedlungen wachsen weiter

Doch das ist wohl reine Utopie. Ab morgen wird es zwar keinen Bauboom geben, aber die Siedlungen werden wieder langsam weiterwachsen wie bisher. Die Verhandlungen werden weitergehen oder auch nicht. Israelis und Palästinenser werden vorläufig weiterhin ohne politische Lösung nebeneinander leben müssen.

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