Denkmal für die Zukunft

Wien-West, einst und jetzt

Wien hat seine internationalen Bahnhöfe aufgegeben. Der Südbahnhof wurde restlos entfernt und der Westbahnhof wird ein Regionalbahnhof. Dessen Halle aus den 1950er Jahren bleibt der Nachwelt erhalten, doch hält sie der Provinzialität auch nicht stand.

Beste Randlage

In der Hauptstadt anzukommen ist derzeit kein Vergnügen. Die meisten Wiener Bahnhöfe werden großspurig umgebaut oder neugebaut. Man kommt in provisorischen Zwischenräumen an, versucht die provisorischen Leitsysteme zu verstehen und möglichst schnell hinauszukommen.

Als der Westbahnhof errichtet wurde, lag er in der Wiener Vorstadt. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Linienwall entlang des heutigen Gürtels abgetragen, die Vororte wurden amtlich eingemeindet, und der Bahnhof rückte damit von der Provinz in die Hauptstadt.

Obwohl die Stadt seither in alle Richtungen, auch westwärts, weit gewachsen ist, der Westbahnhof ein von vielen Straßen- und U-Bahnlinien tangierter Verkehrsknotenpunkt ist, und der Standort heute von Hotels in der Umgebung als "beste Innenstadtlage" bezeichnet wird: Er ist immer noch ein trennendes Element zwischen Zentrum und Außenbezirk, zwischen "innerer" und "äußerer" Mariahilfer Straße, zwischen "Shopping in Wien" und "Wiener Wohnen".

Wien bei Nacht

Die Bahnhofshalle bleibt als Erinnerung an die Aufbruchsstimmung der 1950er Jahre und ein weltstädtisches Selbstbewusstsein stehen. Der Denkmalschutz sieht dies vor. Im April 1945 war der alte Kaiserin-Elisabeth-Bahnhof bombardiert und später abgetragen worden.

Der Nachfolgebau, überdachte Bahngleise, die in einer lichtdurchfluteten Halle auf zwei Ebenen münden, wurde Anfang der 1950er Jahre errichtet. Mit räumlicher Großzügigkeit, eleganten Materialien und einer Lichtgestaltung, die das Gebäude auch außerhalb der Stoßzeiten zu einem postkartentauglichen, urbanen Knotenpunkt machte. Das mondäne Wien bei Nacht war am Westbahnhof zu finden.

Sigi Herzog ist Gesamtprojektkoordinator des Hauptbahnhofes, wo ab 2014 der internationale Zugverkehr abgewickelt wird: "Der Westbahnhof wird damit zu einem Regionalbahnhof, wobei jedoch die ganze Westbahn - auch Salzburg und Innsbruck- inkludiert ist."

Nichts wie weg

Jetzt, ein Jahr vor Fertigstellung, sind es vor allem provisorische Neonröhren, die den Rollkofferreisenden den Weg hinaus erleuchten. Und es geht nur hinaus, denn ein Aufenthalt im Bahnhof wird hier weder gefördert noch geduldet. Der Sicherheitsdienst stellt sicher, dass die Aufenthaltszeit möglichst kurz ist - Menschen, die zum Biertrinken oder Münzgelderwerb hier sind, ohne Zugticket, werden schnell hinaus gebeten.

Ein eingerahmtes Loch in der Baustellenwand an der Stelle, wo früher in einer Backfiliale Reiseproviant zu kaufen war, erlaubt jetzt den Blick in die alte, hergerichtete Bahnhofshalle. Zuletzt hatten sich die Kioske in der Westbahnhofshalle zu einer bedrohlichen Masse angehäuft: Kaffee, Sandwiches, Gewürze, Bargeldtransfer - vor lauter Dienstleistungen und Gastronomie war die Halle nicht mehr als solche zu sehen. Nun ist sie jungfräulich leer und zudem generalüberholt.

Außen lehnen sich nun zwei Neubauten an die denkmalgeschützte Westbahnhofshalle, die den zeitgemäßen Nutzungsmix - "moderner Bürokomplex mit integriertem Hotel" sowie "Shoppingmeile mit abwechslungsreichem Gastronomieangebot" - erfüllen.Die mehrstöckigen Rohbauten sind von Gerüsten umfasst, Büros sind noch zu haben. Aber wie es hier aussehen wird, ist bereits absehbar: Investorenarchitektur ohne Mehrwert für die Stadtgesellschaft.

Proteste in Stuttgart, Ruhe in Wien

Welch ein Irrtum, dem die Zukunftsforscher und Bahnhofsplaner aufsitzen: Züge müssen nicht mit Flugzeugkabinen und Bahnhöfe mit nicht mit Flughäfen konkurrieren. Und welch Irrglaube auch, dass Filialen internationaler Konzerne auch internationales Flair mit sich bringen. Da hätte man die alte Bahnhofshalle, statt sie durch die Positionierung der Neubauten im Stadtbild nach hinten zu versetzen und sie so der räumlichen Großzügigkeit freizustehen zu berauben, auch gleich abreißen können.

Große Bahnhofshallen, die das Reisen zelebrieren, weichen Shoppingcenters mit angeschlossenem Gleisbetrieb. Zwischen Zugfahren und U-Bahnfahren schwinden die Unterschiede. Das ist keine österreichische Besonderheit. Besonders ist nur, dass sich in Österreich - man denke an Stuttgart - niemand gegen die kommerziell geprägte Neudefinition des öffentlichen Ortes Bahnhof wehrt. In Wien mit dem Zug anzukommen ist kein Vergnügen, und es wird auch nie wieder eines sein.

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