Der Aufstand gegen den Kriegstreiber am Balkan
Rückblick: Zehn Jahre nach Milosevic
Vor zehn Jahren ist Slobodan Milosevic gestürzt worden. Die Opposition warf ihm Wahlbetrug vor und jagte ihn in Massenprotesten aus dem Amt. Die Ära Milosevic, der mit seiner nationalistischen Kampagne zum Kriegstreiber auf dem Balkan wurde, ging damit zu Ende.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 5.10.2010
Massenproteste gegen Milosevic
Vor genau zehn Jahren an einem Dienstag, dem 5. Oktober 2000, versammelten sich hundertausende Menschen in der serbischen Hauptstadt. Aus allen Landesteilen waren sie mit Bussen und Zügen nach Belgrad gekommen. Ihr Ziel war das Bundesparlament im Zentrum der Hauptstadt. Das war der Höhepunkt von mehr als zwei Wochen von Protesten, Demonstrationen und Streiks im ganzen Land.
Dazu aufgerufen hatte die demokratische Opposition. Ihr Zorn richtete sich gegen das offizielle Ergebnis der Präsidentenwahlen vom 24. September 2000. Nach offizieller Lesart hätte der Kandidat der Opposition Vojislav Kostunica die absolute Mehrheit verfehlt, eine Stichwahl zwischen Kostunica und Milosevic sei daher notwendig, meinte die staatliche Wahlkommission.
Die Opposition sprach von Wahlmanipulation: Kostunica habe sehr wohl schon im ersten Durchgang die erforderliche absolute Mehrheit erhalten. Milosevic müsse das akzeptieren, so Oppositionsführer Zoran Djindjic: "Die Tatsachen sind klar. Es ist nur die Frage, ob Milosevic die Wirklichkeit akzeptiert oder nicht."
"Es lebe das demokratische Serbien"
Der damals uneingeschränkte Herrscher Restjugoslawiens, Slobodan Milosevic, wollte davon nichts hören, igelte sich ein und ließ Polizei und Armee aufmarschieren. Doch je länger die Proteste dauerten, desto mehr Menschen solidarisierten sich mit den Demonstranten.
Am Nachmittag des 5. Oktober 2000 erstürmten die Demonstranten dann das Parlament und kurz danach den nahegelegenen staatlichen Fernsehsender. Polizei und Armee griffen nicht ein.
"Es lebe das demokratische Serbien", rief die jubelnde Menschenmenge. "Das Leben in einem demokratischen Serbien hat nun begonnen", schreit Kostunica der Menge zu und wartet mit einem Geschenk auf: das baldige Ende der EU-Wirtschaftssanktionen gegen Serbien.
Ende der Milosevic Ära
Inzwischen war auch Slobadan Milosevic klar geworden, dass er gegen dieses Aufbäumen eines ganzen Landes nichts mehr tun konnte. Am nächsten Tag, dem 6. Oktober gesteht er im staatlichen Fernsehen seine Niederlage ein: "Ich habe in diesem Augenblick die offizielle Mitteilung erhalten, dass Vojislav Kostunica die Präsidentenwahlen gewonnen hat. Ich sehe, dass ich diesen Beschluss akzeptieren muss."
Tags darauf wurde Vojislav Kostunica als neuer jugoslawischer Präsident vereidigt. Drei Monate später gewann ein weiterer Oppositionsführer, Zoran Djindjic, die Parlamentswahlen und wurde neuer serbischer Premier. Es ist Djindjic, der Slobodan Milosevic wenige Monate später dem Kriegsverbrechertribunal nach Den Haag ausliefert. Djindjic, eine der Gallionsfiguren der serbischen Demokratiebewegung, wird 2003 ermordet.
Der Kriegsverbrecherprozess gegen Slobodan Milosevic dauert fast vier Jahre. Kurz vor der Urteilsverkündung im März 2006 wird Slobodan Milosevic tot in seiner Zelle aufgefunden.
"Korruption ist nach wie vor ein Problem"
Der ORF-Balkankorrespondent Christian Wehrschütz im Mittagsjournalgespräch am 5.10.2010 mit
Situation im heutigen Serbien
Der ORF-Balkankorrespondent Christian Wehrschütz weist im Mittagsjournal Medienberichte zurück, wonach heute fast schon wieder dieselben Zustände wie unter Milosevic herrschen würden: "Wer hätte sich vor zehn Jahren vorstellen können, dass der damalige Pressesprecher der Milosevic-Partei heute Innenminister ist, und heuer am 10. Oktober die erste Homosexuellen-Parade stattfindet, die von 5.000 Polizisten geschützt wird."
Ein großes Problem in Serbien sei, dass Personen des alten Milosevic-Regimes nach wie vor in Machtpositionen sitzen, Korruption sei noch immer weit verbreitet. Die große Zäsur war die Ermordung von Zoran Djindjic im März 2003. Mit dem Verlust dieser charismatischen Führungspersönlichkeit habe der Versuch des großen Sprungs vorwärts geendet und damit auch die Bestrebungen möglichst bald "an die Tür der EU zu klopfen".