Ein argentinischer Autor

Porträt Sergio Bizzio

Über hundert argentinische Autoren präsentieren bei der Frankfurter Buchmesse ihre Werke, die zum Teil erstmals auf Deutsch übersetzt wurden. Einer dieser Schriftsteller ist Sergio Bizzio. Sein Roman "Stille Wut" wurde bereitsvom ecuadorianischen Regisseur Sebastian Cordero verfilmt.

Kulturjournal, 06.10.2010

"Das Schreiben ist ein Spiel, ein Training - mal ist es unterhaltsam und mal bereitet es einem Kopfzerbrechen." Der argentinische Schriftsteller Sergio Bizzio spricht schnell und verschluckt das eine oder andere Wort während unseres Gespräches. Wir haben uns in einem der zahlreichen versteckten Innenhöfe von Buenos Aires im Lieblings-Café des Autors getroffen.

Jorge Bizzio ist 1956 in der argentinischen Hauptstadt zur Welt gekommen. Seine Leidenschaft für das Schreiben entdeckte er bereits mit zwölf Jahren, als er sein erstes Liebesgedicht verfasste. Mit 15 las er erstmals Werke von Rimbaud.

Das Geheimnis eines guten Schriftstellers ist für Bizzio "lesen, das ist noch besser als schreiben. Ein Schriftsteller muss stets ein guter Leser sein, der sucht, findet und diesem Fund bis auf den Grund nachrecherchiert. Es ist ganz gleich, ob dieser Fund gut oder schlecht, große oder klein, wichtig oder unwichtig ist, ob er international anerkannt ist oder nur an der nächsten Straßenecke meines Viertels geschätzt wird."

Am Anfang stand eine Beobachtung

Jetzt ist erstmals eines der Werke von Bizzio ins Deutsche übersetzt worden: "Rabia" - "Stille Wut". Die argentinische Tageszeitung "Clarin" bezeichnete den Roman, der 2004 erschienen ist, als "einen perfekten Roman voll schockierender Kraft" und "das Beste, was die aktuelle Literatur Argentiniens zu bieten hat".

Die Idee zu diesem Buch kam Bizzio, als er bei einem Spaziergang durch das Viertel Recoleta eine Beobachtung machte. In Recoleta stehen noch heute die prunkvollsten Villen von Buenos Aires.

"Meine frühere Frau wohnte in der Nähe einer sehr großen Villa, die bis zu fünf Stockwerke hatte", erzählt Bizzio. "Mir fiel dieses Haus besonders deswegen auf, denn es hatte mindestens 100 Fenster und es brannte immer nur bei einem das Licht, mal im Erdgeschoß, mal im ersten oder zweiten Stock. Eines Tages erfuhr ich, dass dort eine alte Dame mit ihrer Putzfrau wohnt. Und mein erster Gedanke war, dass in diesem Haus ohne Probleme drei Familien wohnen könnten, ohne dass die Dame es mitbekäme. Das war der Ursprung von 'Stille Wut'."

Mysteriös und spannend klingt die Kurzbeschreibung von Sergio Bizzio über sein Roman, der demnächst auch in die Kinos kommen wird: "Die Hauptfigur heißt José Maria und ist Bauarbeiter. Er verliebt sich in Rosa, eine Putzfrau, die in einer großen Villa arbeitet. Es ist eine dieser Villen in Buenos Aires vom Ende des 19. Jahrhunderts, von denen es noch einige gibt. Doch die meisten sind heute Botschaften. Bei einer Auseinandersetzung zwischen José Maria und seinem Chef auf der Baustelle, bringt er seinen Vorgesetzten um. Ohne dass es seine Freundin merkt, schleicht er in die Villa, um sich dort vor der Polizei zu verstecken. Schließlich merkt er, dass er dort leben kann, ohne dass dies jemand mitbekommt."

Hauptthema Eingesperrt-sein

Sergio Bizzio beschreibt sich als einen lebensfrohen Menschen. Sein verschmitztes Lächeln und die Lachfalten um seine Augen deuten auf eine humorvolle Person hin. Er liebe die Ironie, erzählt der 54-Jährige, während Sarkasmus und Zynismus ihn jedoch ermüden würden. Seine Literatur bezeichnet er eher als tragisch.

"Meine Literatur hat sehr viel Humor, ich könnte sagen, Humor ist mein größter Feind, da er sich mir ständig aufdrängt", so Bizzio. "Aber meine Literatur ist tragisch. Mein Hauptthema ist das Sich-Verschließen, eingeschlossen sein. Die Protagonisten in meinen Romanen sind immer eingeschlossen, in der 'Stillen Wut' ist es der Mann, in einem anderen Roman sind es Außerirdische in ihrem UFO, das in der argentinischen Pampa eingegraben ist und in meinem letzten Werk sind Leute in einem Fernsehstudio eingesperrt. Das ist definitiv mein Hauptthema."

Kindheitserinnerung als Basis

Sergio Bizzio hat bisher zwölf Romane veröffentlicht und etliche Theaterstücke und Drehbücher geschrieben. Mit seiner Kurzgeschichte "Cinismo" lieferte er die Grundlage für den Film "XXY", der mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Darin wird die Geschichte eines 15-jährigen Mädchens geschildert, das intersexuell ist. Ein Thema, das in der Gesellschaft so gut wie nicht angesprochen wird, und das auch Sergio Bizzio anfänglich nicht gesucht hat.

"Entstanden ist die Geschichte aufgrund einer Kindheitserinnerung", erzählt Bizzio. "Gemeinsam mit meinen Eltern sind wir zu Freunden aufs Land gefahren. Natürlich war keiner der dort Anwesenden Hermaphrodit, aber wir waren viele Kinder und der Ort hatte eine ganz bestimmte Stimmung. Ich fange an, die Kinder zu beschreiben, bei dem Mädchen bleibe ich schließlich hängen und sie wird zur Protagonistin meiner Kurzgeschichte. Aufgrund einer Erinnerung kam ich zu meiner Hauptperson, die mich zum Thema Intersexualität geführt hat."

"Das Thema sucht mich aus"

Sergio Bizzio habe schon viele Geschichten angefangen zu schreiben, die am Ende keine geworden sind und andere, aus denen Geschichten wurden, die er nie erwartet hätte, sagt er: "Ich suche mir die Themen nicht aus, sie entstehen auf einmal. Ich mag auch keine Bücher, die gezielt bestimmte Themen behandeln. Es erscheint mir, als wäre es eine berechnende Form der Literatur, die nur darauf aus ist, einen bestimmten Eindruck bei den Lesern zu erzielen. Ich fange meistens mit einer Handvoll Wörtern an, die mir spannend vorkommen und manchmal wird daraus ein Thema und manchmal nicht."

Wie viele Argentinier kommen auch die Vorfahren von Sergio Bizzio aus Europa. Italienisches, holländisches und dänisches Blut fließt in seinen Adern. Und auch wenn sich die Argentinier immer wieder gerne für die "Europäer Südamerikas" halten, ist für den Autor Argentinien mehr als nur europäisch:

"Natürlich hat Argentinien europäische Einflüsse, aber ich glaube nicht, dass es ein europäisches Land ist. Argentinien ist eine Art Kaleidoskop unseres Planeten. So gibt es französisch anmutende Orte, oder welche, die in Spanien sein könnten. Aber auch Orte wie im Irak haben wir hier oder welche, die einen an Asien erinnern. All das ist Argentinien."

Auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert sich Argentinien vor allem in seiner literarischen Vielfalt. Sergio Bizzio wird jedoch nicht nach Frankfurt fliegen - er findet Messen anstrengend. Er freue sich jedoch, dass sein Roman dort sei und ihn somit repräsentieren würde. Das, so der argentinische Autor, sei vollkommen ausreichend.