Bearbeitet von Dimitré Dinev

Hauptmanns "Ratten" im Volkstheater

Im Wiener Volkstheater hat am 8. Oktober 2010 Gerhard Hauptmanns Tragikomödie "Die Ratten" Premiere. Das Stück aus dem Jahr 1911 wurde vom österreichisch-bulgarischen Autor Dimitré Dinev, bekannt geworden durch den Roman "Engelszungen", bearbeitet und wird vom deutschen Regisseur Ingo Berk inszeniert.

Kultur aktuell, 08.10.2010

Ich wünschte, ich hätte das Stück selbst geschrieben, sagt Dimitré Dinev, denn es ist perfekt. Es habe eine antike tragische Kraft, eine zeitlose Problematik und menschliche Charaktere. Geschrieben hat er es nicht, wohl aber bearbeitet. Gerhard Hauptmanns Berliner Dialekt hat er in eine hierzulande verständliche Sprache gebracht - was ihm, mit bulgarischer Muttersprache, zugegebenermaßen schwer gefallen ist -, Anachronistisches gestrichen, einiges neu erfunden, und manches in eine Art Kunstsprache übersetzt.

"Ich glaube, dass es eine Eigenschaft gibt, die jenen Menschen eigen ist, die ihr Geburtsland verlassen und in die Welt gehen, und Länder bereisen, wo andere Sprachen gesprochen werden, sie entwickeln so einen sechsten Sinn gegenüber fremden Sprachen", sagt Dinev.

Auf allen Ebenen Ratten

Gerhard Hauptmann hat seine Geschichte in einem Berliner Mietshaus Ende des 19. Jahrhunderts angesiedelt und beleuchtet sozialkritisch die verschiedenen Milieus. Die Haupthandlung erzählt die Geschichte der Frau John, die sich sehnlichst ein Kind wünscht, nachdem ihr eigenes kurz nach der Geburt gestorben ist. Sie kauft dem Dienstmädchen Pauline ihr Neugeborenes ab und als dieses, von Sehnsucht und Reue geplagt, ihr Kind wieder zurück haben möchte, gerät Frau John in eine Spirale aus Lüge, Betrug und schließlich Mord.

Neben dieser Handlung, die im Arbeitermilieu spielt, gibt es noch eine zweite, mit bürgerlichem Personal - allen voran der Theaterdirektor Hassreuter, dargestellt von Erich Schleyer, der dann auch den zentralen Satz des Stückes, jenen von den Ratten sagt: "Diese Ratten fangen auf dem Gebiet der Politik unser herrliches Vaterland zu unterminieren an, und – im Garten der Kunst: Rattenplage! Fressen sie die Wurzeln des Baumes des Idealismus ab."

"Die Ratten in unserer Gesellschaft sind auf allen Ebenen zu finden", sagt Regisseur Ingo Berk. "Der Gedanke bei Hauptmann war, dass er diese Kriminalgeschichte um diese Mutter, Frau John, in einer untergehenden Welt, wo Werte sich auflösen, Familien sich auflösen, einbettet, und ich finde das ist zeitlos und aktuell."

Menschlich gezeichnete Figuren

Keine der Figuren ist ein wirklicher Sympathieträger, alle haben sie etwas Rattenhaftes, Verschlagenes, Aggressives und Schmarotzendes an sich. Und trotzdem seien sie voller Mitgefühl und sehr menschlich gezeichnet, meint Dimitre Dinev: "Ich liebe Autoren, die die Menschen lieben, die, die Menschen nicht verachten oder nur einen zynischen Blick für die Menschheit haben."

Dankbar sei die Aufgabe des Bearbeiters nicht, sagt Dinev, denn laufe alles gut, so werde man Gerhard Hauptmann für das gelungene Stück loben, gehe es aber schief, so werde man seine Bearbeitung dafür verantwortlich machen. Deshalb verzichtet er vorläufig auf weitere Bearbeitungen und widmet sich nun lieber dem Schreiben seines neuen Romans, auf den die Leser der "Engelszungen" schon seit sieben Jahren warten.

Textfassung: Ruth Halle

Service

Gerhard Hauptmann, "Die Ratten", bearbeitet von Dimitré Dinev, ab 8. Oktober 2010, Volkstheater Wien,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen ermäßigten Eintritt (zehn Prozent).

Volkstheater - Die Ratten