Die Grenzen Europas

Manifesta 8 in Spanien

Die Manifesta 8, die europäische Biennale für zeitgenössische Kunst, findet heuer im südspanischen Murcia statt. Das Konzept der Manifesta, jedes Mal an einem neuen Schauplatz stattzufinden, macht sie zu einer der spannendsten Biennalen weltweit.

Bei der Manifesta werden jeweils brisante Themen für diese Orte erarbeitet: Im Falle Murcias werden heuer mit künstlerischen Mitteln die Grenzen Europas abgetastet - vor allem die Grenzen zu Afrika. Ein Großteil der Kunstwerke entstand in und für ungewöhnliche Locations in Murcia: in einem alten Postamt, einem erst kürzlich aufgelassenen Gefängnis oder einem Autopsiepavillon.

Kultur aktuell, 11.10.2010

So wunderschön die Meeresküste aussieht, eine ganze Serie von Festungen zeugt von den kriegerischen Beziehungen zwischen Spanien und Nordafrika. Eine Filminstallation des französischen Künstlers Laurent Grasso dokumentiert sie alle - in einem malerisch einsam an der Küste gelegenen Pavillon.

Trotz aller Abwehrmechanismen leben heute etwa 16 Prozent Migranten in der Region Murcia. Der Prozentsatz der Migranten in den Gefängnissen ist doppelt so hoch, ist in einer Performance zu erfahren, die in dem gerade erst stillgelegten Gefängnis von Cartagena stattfindet. Der ägyptische Künstler Khaled Hafez führt die Besucher in einem gestreiften Anzug, wie aus einem Disney Film und erzählt über Gefängnisse in den USA und Europa.

Geschichte eines Gefängnisses

Schwere Eisentüren und Stacheldraht jagen den Besuchern Schauer über den Rücken. Man erfährt, dass dieses Gefängnis in den 1930er Jahren für 100 Gefangene errichtet wurde und während der Franco-Diktatur 1.000 Menschen hier einsaßen. An den Wänden sind die Malereien der Häftlinge noch zu sehen: Sonnenuntergänge und üppige Blumen, dazwischen, in den Zellen, befinden sich die Installationen der Künstler. Etwa ein Film, der die Geschichte dieser Haftanstalt aufarbeitet.

Alfredo Cramerotti von dem Kuratorenteam "Chamber of Public Secrets" erzählt, dass hier ein dreitägiges Seminar über die Gewalt von den Alten Griechen bis heute stattfinden wird.

Von Gewalt erzählt auch ein Video der israelischen Künstlerin Ruti Sela, die auf political correctness überhaupt keinen Wert zu legen scheint, wenn sie eine Gruppe zionistischer Fundamentalisten bei einer Demonstration in Jerusalem zeigt, wie sie ihre politischen Gegner mit unflätigen Slogans wie "Bestien", "Sünder", "Pervers" und "ab in den Zoo" beschimpfen.

Auch geistige und philosophische Grenzen

Thema dieser Manifesta sind nicht nur geografische Grenzen, sondern auch geistige und philosophische Grenzen. Es geht generell darum, zwischen Kulturen zu vermitteln. So auch zwischen Blinden und Sehenden. So kann man sich etwa von Blinden durch einen völlig finsteren Ausstellungsraum führen lassen, in dem man die Bilder an den Wänden nur riechen kann, weil sie mit Gewürzen gemalt sind.

Sehen kann man die Bilder des blinden türkischen Malers Esref Armagan, der erstaunliche dreidimensionale Gemälde anfertigt - von Objekten, die er vorher abgetastet hat. Ein verblüffendes Phänomen, das eigentlich eine Neuschreibung der Kunstgeschichte verlangt. Immerhin dachte die Menschheit jahrhundertelang, es werden Bilder produziert, weil Menschen Augen haben. Das müsste dringend revidiert werden, sagt Alfredo Cramerotti.

Das Experiment, diese Manifesta von drei unterschiedlichen Kuratorenteams - der Chamber of public secrets, dem Alexandria Contemporary Art Forum und tranzit.org - konzipieren zu lassen, die aus unterschiedlichen Regionen Europas kommen, ist perfekt aufgegangen. Die Wahl der Ausstellungsorte und der über 140 Künstler ist beeindruckend. Zu sehen bis 9. Jänner 2011 im südspanischen Murcia.

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Manifesta 8