Obersalzberg und Kehlsteinhaus

Tourismus am Täterort?

Keine 15 Kilometer Entfernung liegen zwischen Hallein und dem Obersalzberg bei Berchtesgaden. Fünfzehn Kilometer, die durch eine ausnehmend schöne Berglandschaft zwischen Hohem Göll und Untersberg führen.

Ein idyllischer Ort ist dieses Bergdorf in der Nähe des Königsees - rein landschaftlich betrachtet. Und die Fernsicht vom Kehlsteinhaus auf 1834 Meter Meereshöhe, 800 Meter über dem Obersalzberg gelegen, die ist nicht weniger als atemberaubend.

Das ist die eine Perspektive. Die andere ist, dass Hitler und die Nationalsozialisten die schönen Orte ein für allemal zu "Täterorten" gemacht haben. Zu Orten, an denen politische Gewaltverbrechen geplant und organisiert wurden. Fragt sich, ob Kehlstein und Obersalzberg jemals wieder Ziele für "normalen" Tourismus sein können?

Nach dem Krieg Erholungszone

Das Gedränge ist jedenfalls groß im sogenannten "Adlernest". Touristen aller Nationen lassen sich in Spezialbussen die steile Straße hinauffahren. Die Busse starten vom großen Parkplatz am Obersalzberg. Dort haben sich zwei historische Gebäude befunden, von denen heute so gut wie nichts mehr zu sehen ist.

Zum einen war da der "Platterhof". Der war ab 1939 zu einem luxuriösen Hotel für führende Nationalsozialisten ausgebaut worden. Nach der Befreiung diente er den Amerikanern bis Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts als Unterkunft in der "Recreation Area". Diese Erholungszone für Truppen, die in Europa stationiert waren, hatte man nach dem Krieg am Obersalzberg eingerichtet.

Auf der anderen Seite des heutigen Parkplatzes hatte Hitler seinen pompösen "Berghof" errichten lassen, der ab 1933 neben Berlin zu einem zweiten Machtzentrum der Nationalsozialisten ausgebaut worden war.

Berggasthof Kehlsteinhaus

Das Kehlsteinhaus oben am Berg war ein Projekt von Martin Bormann. Bormann war ab 1933 Verwalter des Führer-Vermögens und erfüllte die Aufgaben eines "Sekretärs". Im Namen der NSDAP schenkte er Hitler das wuchtige Bauwerk am exponierten Kehlstein zu dessen 50. Geburtstag.

Das Führersperrgebiet am Obersalzberg wurde am 25. April 1945 von britischen und amerikanischen Langstreckenflugzeugen beinahe vollständig zerbombt. Aber keine der Bomben traf das Haus oben am Kehlstein. Und auch nach dem Krieg, als die Reste der Bauwerke am Obersalzberg gesprengt wurden, blieb es verschont. Das wuchtige Kehlsteinhaus mit seinen meterdicken Grundmauern ist also bis heute in seiner ursprünglichen Form erhalten.

Mittlerweile wird das zeitgeschichtliche Monument schon seit 1960 von der Tourismusregion Berchtesgaden-Königsee verwaltet - und von privaten Pächtern geführt. Als Berggasthof. Mit Bier, Bratwurst und Sauerkraut.

Die "Dokumentation Obersalzberg"

Adlernest - Nis d'Aigle - Il Nido dell'Aquila: An klaren Tagen reicht der Panoramablick bis 200 Kilometer weit. Die Versuchung, die Geschichte des Ortes zu verdrängen, ist ziemlich groß.

Wer sich eingehender mit der historischen Dimension von Kehlsteinhaus und Obersalzberg auseinandersetzen will, muss die Straße wieder abwärts fahren. Erst unten wird die Orts- und Zeitgeschichte fundiert behandelt - in der "Dokumentation Obersalzberg", einer Dauerausstellung des Instituts für Zeitgeschichte München. Sie widmet der Ortsgeschichte große Aufmerksamkeit.

Darüber hinaus werden aber auch der nationalsozialistische Terrorapparat, Judenpolitik und Völkermord und viele weitere Aspekte ausführlich dargestellt. Nicht zuletzt gehört auch ein Teil der ehemaligen Anlagen zum Umfang der Ausstellung.

Zurück zur Sommerfrische

Die Reste der Bunkeranlagen sind ein Beleg der Hinterlassenschaft der Nationalsozialisten am Obersalzberg. Die düsteren Bunker drinnen unter der Erde - draußen die idyllische Landschaft, die Ende des 19. Jahrhunderts eines der bedeutendsten heilklimatischen Erholungsgebiete gewesen ist: viel größer könnte der Kontrast nicht sein.

Gerne würde man am Obersalzberg zu einer gewissen Normalität als Tourismusort zurückfinden. Schließlich habe man schon auf eine lange Tradition als Sommerfrische verweisen können, lange bevor Hitler 1923 den hübschen Ort als Domizil gewählt hat. Auch die Amerikaner hätten ja die Schönheit der Landschaft geschätzt - in ihrem "Armed Forces Recreation Center", mit Tennisplätzen und Skiliften und Auffahrten zum Kehlstein in historischen Fahrzeugen.

Der Obersalzberg ist nun einmal vieles zugleich: Sommerfrische und Täterort. Dass Letzteres nicht völlig verdrängt und unter den Tisch gekehrt, nicht "entsorgt" wird, ist unter anderem ein Ziel der "Dokumentation Obersalzberg".

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