Die HeLa Zellen und ihre Spenderin

Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Die Ärzte entnahmen 1951 einer schwerkranken Frau Zellproben, ohne sie zu fragen. Diese Zellen starben nie. Im Gegenteil, sie wurden gezüchtet und leisteten wertvolle Dienste für die Krebsforschung. Was seither geschah, recherchierte Rebacca Skloot.

Ähnlich wie die unsterblichen Zellen von Henrietta Lacks wuchert Rebecca Skloots Buch, bildet Ableger, zum Beispiel finanziert die schwarze Mediengigantin Oprah Winfrey einen Fernsehfilm zum Thema. Das Buch zeugt Varianten, diverse Fassungen für Kinder, junge Erwachsene, Studenten. Und unzählige Kopien werden in aller Welt verkauft.

Das Buch war monatelang auf der New York Times Bestsellerliste und es macht seine Autorin Rebecca Skloot berühmt, beinahe so berühmt wie Zellen der Frau, von der sie berichtet. Henrietta Lacks hat Medizingeschichte geschrieben und Rebecca Skloot, 60 Jahre später, einen wichtigen Beitrag zur Bioethik geleistet, die amerikanische Geschichte um einen wichtigen Aspekt bereichert und dem Dokufiction-Genre eine neue Spielart beschert.

Unheimliche Geschwindigkeit

Da ist bis heute etwas Unheimliches an den Krebszellen von Henrietta Lacks. Nicht nur, dass sie damals in Rekordgeschwindigkeit jedes Organ der 30-jährigen Patientin besiedelten. Sie waren die ersten Zellen, die sich auch außerhalb des menschlichen Körpers teilten - 1951 eine Sensation in der Medizin. Als ihre schwarze Patientin wenig später starb, wunderten sich die Ärzte nicht. Henrietta Lacks Krebszellen waren die aggressivsten und robustesten Zellen, die man je in einer Petrischale gezüchtet hatte. Und man kann sich bis heute nicht ganz erklären, was sie so widerstandsfähig macht.

Die Zelllinie wurde nach Henrietta Lacks HeLa genannt und ging in Serie. Wissenschaftler damals hofften, durch Forschung an diesen Zellen den Krebs besiegen zu können. Tatsächlich half HeLa bei der Entwicklung eines Brustkrebsmedikaments. Aber auch bei der Entwicklung des Polio-Impfstoffs und bei der von Arzneien gegen Parkinson und Leukämie.

Wer profitierte?

50 Millionen Tonnen HeLa-Zellen wurden inzwischen gezüchtet. Und obwohl heute weitere menschliche Zelllinien verfügbar sind, gehört HeLa zum grundlegenden Laborarsenal jedes BioTech-Unternehmens. Die Branche verdiente seit über 50 Jahren gut mit dem Verkauf der Zellen.

Es gebe mehr als 17.000 Patente und 60.000 Forschungsergebnisse, die auf HeLa-Zellkulturen basieren, schreibt die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Rebecca Skloot in ihrem Buch "Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks". Die Familie der Spenderin jedoch konnte nicht davon profitieren. Henrietta Lacks hinterließ in Baltimore eine sechsköpfige Familie, die in tiefer Armut lebte. Daran hat sich auch in der Enkelgeneration nichts geändert.

"Für die Familie ist der problematische Kern der Geschichte weiterhin die Diskrepanz: Auf der einen Seite diese Frau, deren Zellen so viel für die Medizin getan haben, die wirklich jedem geholfen haben, jedem, der jemals geimpft wurde, der Medikamente einnahm. Jedem sind sie zugutegekommen, nur sie hatten unter dieser ganzen Sache zu leiden", erzählt Sklot. "Und außerdem haben einige Firmen viel Geld damit gemacht. Und sie können nicht einmal zum Arzt gehen, weil ihnen das Geld dafür fehlt. Sie sind immer noch aufgebracht deshalb. Und warten bis heute darauf, dass jemand kommt und ihnen Geld gibt und eine Krankenversicherung."

Abwägung von Interessen

Rebecca Skloot hält weiterhin engen Kontakt zur Familie Lacks. Die 38-Jährige hat eine Stiftung gegründet, in die Teile der Bucheinnahmen fließen und Spenden der Leser. Fünf Ur-Ur-Enkeln von Henrietta Lacks konnten so Schulgeld und Bücher bezahlt werden. Auf Spenden der Unternehmen warten Skloot und die Familie jedoch bisher vergebens. Und die Autorin kann nachvollziehen, was die Verantwortlichen zurückhält.

"Die Leute sind ängstlich. Und die Gewebeforschung ist so wichtig. Wir brauchen sie für Impfstoffe und die Medikamentenentwicklung. Und die Wissenschaftler sind besorgt, wenn nun etwas passiert, was nur entfernt einer Entschädigung für entnommenes Gewebe ähnelt, dann glauben sie, würden die Leute ihr Gewebe nicht mehr hergeben und dann könnte nicht mehr geforscht werden", erklärt Skloot. "Ich glaube das nicht. Ich glaube, die Menschen wollen der Wissenschaft helfen. Sie verstehen das. Sie wollen nur nicht im Nachhinein herausfinden, dass man an ihrem Gewebe forscht oder damit ein Geschäft macht."

Amerikas ethische Dimensionen

Es dreht sich auch bei dem Groll, den die Nachfahren Henrietta Lacks' empfinden, um das Gefühl finanziell übervorteilt worden zu sein. Im Vordergrund jedoch stehen Angst, Trauer, Wut - Gefühle, aus einer Zeit, in der sich die Schwarzen nicht selbst gehörten. Dazu kommen die Demütigungen der Armut.

Diese Dimensionen auf unsentimentale und höflich mitfühlende Weise ins Spiel gebracht zu haben, ist Skloots Verdienst. Ihre Geschichte hat einen weiten Horizont, sehr vieles hat darunter Platz: die Ausbrüche religiöser Verzückung bei den Lackses, die Theorien des französischen Eugenikers Alexis Carrel, das Privatleben des Leiters der Abteilung für Gewebekulturforschung am John-Hopkins Krankenhaus George Gey. Und tatsächlich sind das alles Bestandteile des einen Gesamtpanoramas, das die ethischen Dimensionen von Amerikas Rassen-und Klassentrennung zeigt, am Beispiel des kurzen Lebens der Henrietta Lacks.

Rebecca Skloot war lange Jahre die einzige Weiße, die mit der schwarzen Familie verkehrte: "Sie nannten mich 'die weiße Lacks - ehrenhalber', denn ich war immer da. Zehn Jahre lang. In den Ferien war ich immer diese Weiße, die hinten auf dem Sofa saß mit Aufnahmegerät und Fotoapparaten. Und die Ur-Enkel, die noch klein waren, als ich anfing die Familie zu besuchen, die sind jetzt zehn, elf und zwölf. Für sie war das ganz normal, als hätte jede Familie ihren Reporter, der die ganze Zeit bei ihnen herumsitzt."

Neugier und Hartnäckigkeit

Mit 16, im Biologieunterricht, erfuhr Skloot von den HeLa Zellen und ihrer Spenderin, der fünffachen Mutter. Zu der Zeit war es ihre Aufgabe, ihren schwer kranken Vater vier Mal die Woche in eine Klinik zu begleiten, wo ein neues Medikament an ihm getestet wurde. Sie erzählt, dass sie Angst hatte, ihr Vater müsse sterben, und dass sie sich aus diesem Grund sofort dafür interessierte, wie die Kinder Henriettas das aufgenommen hätten: Die Mutter ist tot, aber ihre Zellen leben weiter. Das wisse er nicht, gab der Lehrer zurück.

In diesem Moment sei ihr klar gewesen, dass sie das herauskriegen müsse, erzählt Rebecca Skloot. Aber die Aufgabe forderte fast übermenschliche Geduld und Hartnäckigkeit. Es ging darum, das Vertrauen einer Familie zu gewinnen, die Angst und Misstrauen gegenüber Weißen empfanden.

"Manchmal haben sie mir für eine Weile vertraut, dann argwöhnten sie, jemand hätte mich geschickt, um auch ihre Zellen zu klauen", erzählt Skloot. "Aus dem Zusammenhang genommen mag das ja verrückt wirken. Aber genau das war dieser Familie ja bereits passiert. Da waren Ärzte gekommen und hatten ihre Zellen genommen, ohne um Erlaubnis zu fragen. Und sie hatten die Krankenakte ihrer Mutter in der Zeitung veröffentlicht. Und es gab sogar jemand, der die Krankenakten der Familie stehlen wollte, weil er dachte, dass damit Geld zu machen sei. Vertrauen in andere Menschen zu setzen. war für diese Familie unmöglich geworden. Ich habe verstanden wieso. Und deshalb konnte ich an dem Projekt dranbleiben."

Diplomatisches Ringen um Verständigung

Rebecca Skloot hat diese Zehnjahresarbeit mit Studentendarlehen, Kreditkarten und Jobs als Serviererin und Aushilfe im Krankenhaus finanziert. Es ist eine zutiefst humane Arbeit, fast ein diplomatisches Ringen um Verständigung zwischen Wissenschaft und Patient. Weiß und Schwarz. Arm und Reich. Höhepunkt ist der Besuch Skloots mit Deborah, der Tochter von Henrietta Lacks bei dem österreichischen Krebsforscher Christoph Lengauer am John Hopkins Krankenhaus in Baltimore, wo Lacks einst behandelt wurde und unwissentlich zwei münzgroße Gewebestückchen spendete:

"Das war 2001. Sie entnahmen Henriettas Zellen 1951. Ihre Familie erfuhr davon in den frühen 1970ern. Anschließend begannen Wissenschaftler ihre Kinder zu Forschungszwecken zu benutzen, um mehr über die Zellen zu erfahren. Und dann nahm sich Christoph Lengauer 2001 die Zeit, sich mit zwei Mitgliedern der Familie zu treffen und ihnen alles zu erklären. Es gab also Jahrzehnte, wo die Familie keine Informationen erhielt, wo sie sich ihren eigenen Reim auf alles machen musste, wo sie Angst hatte. Es war wirklich schwierig für sie."

Die Phase der Spekulation dauerte 30 Jahre. Und die Lacks haben eine wilde Phantasie. Als die Wissenschaftler dem Witwer David Lacks mitteilten, sie hätten lebende Zellen seiner Frau im Labor, verstand der, sie hätten seine Frau in eine Zelle gesperrt. Als sie richtigstellten, dass sie nur mit ihren Zellen arbeiteten, fragte er, ob seine Frau dabei Schmerzen habe. Und als Deborah, die jüngste Tochter Henriettas, erfuhr, dass man die Zellen ihrer Mutter geklont hatte, geriet sie in Panik, weil sie dachte, dass sie nun jederzeit auf der Straße mit ihrer Mutter zusammenstoßen könnte und die würde sie nicht erkennen.

Packende Ausgewogenheit

Rebecca Skloot, die inzwischen an wissenschaftlichen Fakultäten Creative Writing unterrichtet, blickt weder auf das Unwissen der Familie Lacks herab, noch verteufelt sie die distanzierte Haltung der Wissenschaftler: "Meine Ausgangshypothese beim Recherchieren war nicht, dass sie üble Genossen sind. Für mich war es wichtig, die Geschichte auf eine ausbalancierte Art zu erzählen, die zeigte, was die Wissenschaftler Gutes taten und auch, wie die Familie darunter litt und wie sie überhaupt an den Härten des Lebens litt. Das alles geht auf die Erfahrung mit meinem Vater zurück, denn ich erkannte, wie wichtig die Wissenschaften für unser Lebens sind."

Skloot hat sich dagegen entschieden, eine Heldengeschichte zu erzählen, und ist so dem Zwang ausgewichen, sich entscheiden zu müssen - für die schwarzen Opfer, gegen die weißen Täter etwa; das hätte nahe gelegen. Skloot hat es sich schwer gemacht, indem sie ausgewogen erzählt.

Ausgewogenheit ist zwar in vielen Fällen ein Garant für langweilige Lektüre. In diesem Fall aber ganz und gar nicht. Rebecca Skloots Wissenschaftsgeschichte "Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks" ist ein Buch, in das man vollkommen eintauchen kann, wie in einen packenden Roman.

Service

Rebecca Skloot, "Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks", aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Vogel, Irisiana Verlag

Random House - Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks