Auftritt mit Tonkünstlern

Fazil Say spielt Tschaikowsky

Die Interpretationen des türkischen Pianisten und Komponisten Fazil Say gelten als virtuos bis eigenwillig. Derzeit befindet er sich mit dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich auf Tour. Am Montag, 18. Oktober 2010 spielt er im Festspielhaus St. Pölten, auf dem Programm steht Tschaikowskys Erstes Klavierkonzert.

Kultur aktuell, 18.10.2010

Fazil Say bei der Arbeit zuzusehen, ist nicht nur ein akustisches, sondern auch ein optisches Erlebnis. Mit weit ausschweifenden Gesten dirigiert er sich quasi selbst, bewältigt mit ganzem Körpereinsatz die virtuosen Passagen und nimmt während des Spiels immer wieder Blickkontakt mit den Orchestermusikern auf.

Der Genuss des Klavierspiels sei ihm wichtiger als technischer Perfektionismus, sagt Fazil Say, und diesem Grundsatz folgt er auch bei der Interpretation des Ersten Tschaikowsky-Klavierkonzertes.

Eines der schwierigsten Werke

Das Werk begleite ihn schon seit seiner Jugend, sagt Fazil Say: "Es ist ein für seine Zeit ziemlich revolutionäres Stück, eine mächtige Komposition mit sehr bekannten Melodien und Ideen. Für mich als Komponist ist natürlich interessant, wie toll das orchestriert wurde und wie toll Klavier und Orchester zusammen funktionieren in diesem Werk. Natürlich ist es eines der schwierigsten Werke - am Anfang ist eine Kadenz, in der Mitte ist eine Kadenz und am Ende ist eine Kadenz schon im ersten Satz."

Ein zweiter Mozart?

Der 1970 in Ankara geborene Pianist und Komponist gilt in der Fachwelt als Ausnahmeerscheinung. Öfters schon wurde er gar als Genie bezeichnet. Sein erster Eindruck war, da spiele Mozart, meinte etwa Benedikt Stampa, Intendant des Konzerthauses Dortmund, wo Fazil Say bis heuer fünf Jahre lang Composer in Residence war.

Im Alter von 17 Jahren kam der Künstler mit einem Stipendium nach Deutschland, die Grundlage für seine spätere Karriere. Als Komponist ist Fazil Say mittlerweile ebenso renommiert wie als Pianist. Die Salzburger Festspiele etwa beauftragten ihn dieses Jahr mit einem Klavierkonzert, das beim Fest zur Festspieleröffnung uraufgeführt wurde. Es war Says siebenter Besuch in Salzburg.

Klangstrukturen türkischer Musik

In den meisten seiner Werke arbeitet Say mit Instrumenten, Rhythmen und Klangstrukturen aus der türkischen Musik: "Die türkischen Instrumente, die so anders sind, als europäische, die Klänge in ein Orchester einzubauen, das ist keine leichte Aufgabe", so Say. "Denn diese Instrumente sind meistens keine temperierten Instrumente, sondern die spielen manchmal Mikrotöne. Dieselben Töne mit dem Orchester zu spielen ist unheimlich schwer oder unmöglich. Das klingt unsauber."

Seit längerem ist die Geigerin Patricia Kopatchinskaja eine musikalische Wegbegleiterin Fazil Says und war etwa mit dessen Violinkonzert mit dem Titel "1001 Nächte im Harem" auf Tour.

Heiße Diskussionen um Arabesk-Musik

Mit einem Teil der türkischen Musikwelt hat sich der Künstler allerdings überworfen: Vergangenen Sommer zog er öffentlich über die populäre Arabesk-Musik her. Sie stammt von jenen Millionen Landflüchtlingen, die in den vergangenen Jahrzehnten von Anatolien in die Westtürkei wanderten. Es sind Lieder, die von großen Gefühlen, Trennung und Heimweh handeln. Say bezeichnete diese Musik unter anderem als "Last für Intellektualität und Kunst" und trug sich dafür den Vorwurf der Arroganz ein.

Kommentatoren werteten den Streit als ein Kapitel im Kulturkonflikt zwischen Ost- und Westtürkei. Fazil Say aber bleibt bei seiner Kritik: "Wissen sie, Arabesk-Musik ist eine Sorte von kommerzieller Musik. Das wurde aber falsch aufgenommen und wird als Kultur der Türkei gezeigt, obwohl niemand in der Welt an dieser Musik interessiert ist. Es gibt liberale Leute, die das als Kultur bezeichnen wollen, aber der Sinne der Sache ist das ja nicht. Deshalb gibt es diese Diskussion."

Die Debatte sei mittlerweile aber hoffentlich beendet, sagt Say. Lieber spricht er über seine Leidenschaft für Jazz. Zwei Jahre lang war er Juryvorsitzender beim Jazzklavier-Wettbewerb in Montreux. Seine Liebe zur Improvisation demonstriert er zudem regelmäßig bei Solokonzerten oder auch bei Zugaben.

Bei den Salzburger Festspielen ist Fazil Say auch im kommenden Jahr zu hören, und ab 2013 könnte für längere Zeit in Österreich bleiben: als Composer in Residence im Wiener Konzerthaus.

Textfassung: Rainer Elstner

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