Süßes und Saures

Österreich - Geschichte, Gegenwart, Zukunft

Der von Hannes Androsch herausgegebene Sammelband "Österreich - Geschichte, Gegenwart, Zukunft" verspricht viel: Das 3,5 Kilo schwere, großformatige Buch will, so heißt es im Klappentext, "das Bild Österreichs und der Österreicher zurechtrücken".

Androsch versucht das mithilfe namhafter Autoren wie Michael Frank, Trautl Brandstaller, Anton Pelinka und dem verstorbenen Wendelin Schmidt-Dengler, von denen die Beiträge zu dem 600seitigen Werk stammen. Der Sammelband stellt einen guten Ersatz für Sachertorte und Augarten Porzellan als Gastgeschenk für Geschäftsleute und ausländische Politiker dar, doch auch Inländern legt Androsch sein Buch ans Herz.

Eigenständig seit 1955

Im Mai 1955 nach der Staatsvertragsunterzeichnung fiel vom Balkon des Schlosses Belvedere der berühmte Satz "Österreich ist frei!". Dieser historische Moment gilt als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines eigenständigen Österreich-Bewusstseins.

Dem Rest von Europa ist allerdings erst 45 Jahre später so richtig klar geworden, dass Österreich kein Hinterhof der Deutschen ist. Es waren die sogenannten "Sanktionen gegen Österreich", ausgelöst durch die Regierungsbeteiligung der FPÖ, die in Europa für eine Autonomie der österreichischen Identität gesorgt haben, schreibt der deutsche Journalist Michael Frank:

Mit der Tatsache, dass die politische Führung der Bundesrepublik Deutschland sich im Jahr 2000 wie viele andere eindeutig gegen die Hereinnahme der rechtsradikalen Freiheitlichen in eine österreichische Bundesregierung wandte, ja, den europäischen Protest dagegen mit angestoßen hatte, hat sich Österreich letztlich im Bewusstsein aller Europäer endgültig aus dem Verdacht einer unreflektierten Anhänglichkeit an Abhängigkeit von Deutschland befreit.

Breitgefächertes Wissen

Michael Frank ist einer von 23 Autoren des Sammelbandes "Österreich - Geschichte, Gegenwart, Zukunft". Den 600 Seiten starken Band könnte man als "großes Geschichte-Buch für Erwachsene" beschreiben. Im Gegensatz zu den Geschichte-Büchern, die man aus Schulzeiten kennt, hört dieser Band allerdings nicht schon beim Zweiten Weltkrieg auf.

Der Themenbogen ist ebenfalls um einiges weiter gespannt: Er reicht von der österreichischen Frauenbewegung und Frauenpolitik, über die österreichische Mediengeschichte bis zur Entwicklung der österreichischen Wirtschaft seit dem 18. Jahrhundert. Dieses wirtschaftsgeschichtliche Kapitel wurde von Christian Dirninger, Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, verfasst.

Dirninger beschäftigt sich in seinem Beitrag zum Beispiel mit der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre. Der österreichische Staat bewahrte damals die größten Bank des Landes, die "Credit-Anstalt", vor dem Zusammenbruch, gegen die rasant ansteigende Arbeitslosigkeit unternahm er allerdings zu wenig, analysiert Christian Dirninger rückblickend:

Der nachfolgenden realwirtschaftlichen Rezession und Depression und damit der stark ansteigenden Arbeitslosigkeit wurde jedoch nicht in entsprechender Weise wirtschaftspolitisch gegengesteuert.

Entdeckung des Mehlspeishimmels

Nicht im wirtschafts- sondern im essgeschichtlichen Kapitel des "Österreich"-Bandes erfährt man, welche Auswirkungen der weltweite Handel mit Zucker auf Österreich hatte. Bis ins 16. Jahrhundert war Wien weitgehend zuckerfrei. In Spanien und in den Niederlanden jedoch war das aus Übersee importierte Zuckerrohr leichter verfügbar. Wie ein Habsburger dann dafür sorgte, dass sich über Wien der sogenannte Mehlspeishimmel wölbte, beschreibt der kürzlich verstorbene Journalist Christoph Wagner:

Für Erzherzog Ferdinand, der am spanischen Hof aufwuchs, war indessen so viel Zucker und Zuckerwerk vorhanden, dass ihm die gediegensten süßen Leckereien geradezu ein Lebenselixier wurden. Als Ferdinand im Jahre 1522 seine Residenz in Wien aufschlug, war er daher auch mit dem Angebot, das die Donaustadt auf dem Gebiet des "Kandierens" zu bieten hatte, alles andere als zufrieden.

Sportliche Triumphe

Dort, wo der spätere Kaiser Ferdinand Wiener Mehlspeisen verschlang, spielte sich ein paar Jahrhunderte danach ein mehr oder minder wichtiges sportgeschichtliches Ereignis ab:

Unter dem Dach der Hofburg, wo die Kaiser von Österreich gewohnt und auf das Volk geschaut haben, kommt Hermann Maier nach mehr als zehn Jahren Himmelfahrt wieder auf der Erde an. Es ist der 13. Oktober 2009, kurz nach zwei Uhr nachmittags. Als er mit aller Kraft den Satz aus sich herausquetscht, dass er mit dem heutigen Tag seine Karriere beende, treibt es ihm die Tränen in die Augen.

So schildert der Sport-Journalist Johann Skocek das Karriere-Ende von Schirennfahrer Hermann Maier. Johann Skoceks Beitrag über österreichische Sportler enthält mehrere solcher Heldenmärchen, zum Beispiel das von Thomas Muster, der aus armen Verhältnissen zum Tennisstar aufstieg oder von Liese Prokop, die inzwischen verstorbene ÖVP-Politikerin, der Silbermedaillengewinnerin bei den Olympischen Spielen 1968 im Fünfkampf.

Ein wenig Zukunft

Der Sammelband enthält zwar viel österreichische Geschichte, aber eher weniger über die Zukunft. Der widmet sich dann aber noch der Herausgeber selbst, Hannes Androsch. Wobei er vor allem eine Warnung ausspricht:

Während die Erste Republik zu den Armenhäusern Europas zählte, wurde die Zweite Republik zur Erfolgsstory. Österreich stieg zu den wohlhabendsten Ländern der Erde mit breiter Wohlfahrt auf und verstand es, große Lebensqualität mit Freiheit, Frieden und Sicherheit zu verbinden. Nach diesem gewaltigen Aufholprozess verliert Österreich allerdings seit Mitte der 1990er Jahre gegenüber vergleichbaren Ländern wie den skandinavischen, den Niederlanden und vor allem der Schweiz wieder an Boden.

Service

Hannes Androsch (Hrsg.), "Österreich. Geschichte, Gegenwart, Zukunft", Christian Brandstätter Verlag

Christian Brandstätter Verlag