Buch von Werner Kofler

Zu spät

"Ich zündete mir eine Zigarette an und setzte mich an den Schreibtisch, nein, umgekehrt, ich setzte mich an den Schreibtisch und zündete mir eine Zigarette an, auch nicht, wie war das nur?" Schon der erste Satz in Werner Koflers neuem Prosastück mit dem Titel "Zu spät" weist - nein, nicht in die richtige Richtung - sondern in die absolute Richtungslosigkeit.

Ein in die Jahre gekommener Ich-Erzähler macht Zwischeninventur, sichtet Material und rechnet ab. Das alles "Am Schreibtisch", wie schon Koflers Ende der 1980er Jahre erschienener, genialer Prosaband geheißen hat. Und die Motti von damals, die gelten heute mehr denn je: "Literatur ist Verbrechensbekämpfung" und Schriftstellerei ein unablässiges Changieren zwischen "Allmacht und Ohnmacht".

Zeitungsnotizen

Zuerst zum Material: Das kommt wie so oft nicht aus dem wirklichen Leben, sondern zuvorderst vom Boulevard. Zeitungsnotizen und Schlagzeilen wie jene von einem Bildhauer, der von seiner eigenen Holzskulptur erschlagen wurde, oder die vom mit einer Praline vergifteten Bürgermeister und schließlich der "Mord beim Orgelspiel", dem ein verwitweter Baumeister, "der schöne Fredl", und seine Geliebte im 3. Wiener Gemeindebezirk zum Opfer gefallen sind.

Der Ich-Erzähler sortiert und notiert, reißt seine üblichen und üblen Witze - Motto: "Je geschmackloser, desto besser!" - bis er sich unverhofft in der eigenen Geschichte wiederfindet, in Kärnten, Villach-Lind und Landskron. Da geht es um Erinnerungen in Postkartenformat, um Reisebilder im Kopf, aber auch um Eigentumsfragen, um Grundstücke und Wohnungen, und schließlich um einen ortsansässigen Baumeister, der just vor dem Haus des Ich-Erzählers eine "Wohnanlage samt Tiefgarage" hinstellen will.

Der Rest ist eine Kriminalgeschichte, ein Mordskunststück in mehreren Variationen und mit mehreren Anläufen, eifrig reportiert von der Kärntner Lokalpresse. Zwischendurch kommt dem Ich-Erzähler nach seiner "italienischen" auch noch seine "jenische Geliebte" in die Quere, genauer gesagt: sie lässt ihn stehen, ein für alle Male, und das um Mitternacht auf dem Villacher Hauptbahnhof.

Verworrene Geschichte

Alles in allem eine verwirrende Geschichte, um nicht zu sagen: eine Sammlung verworrener Geschichten. Und Werner Kofler erzählt sie in bewährter Manier: In einer scheinbar konfusen, aber strengen Komposition, intoniert mit einer durch und durch musikalischen Sprache. Diese Mixtur aus Anspielungen und Anklagen, aus Untergriffen und Zoten hat Kofler selbst einmal die Technik des "assoziativen Deliriums" genannt. Und wenn der in die Jahre gekommene Ich-Erzähler seine Verluste bilanziert, die Verluste von Freunden und Weggefährten, dann gipfelt diese Technik in Sätzen wie diesen:

Da, noch da, nicht mehr da, so einfach, das Da-sein, das Nicht-mehr-da-sein. Keiner mehr da. Nichts mehr da, Interspar.

Geschichte eines Leni-Riefenstahl-Films

"Zu spät" ist einer von zwei Prosatexten in Werner Koflers neuem Buch. Text Nummer zwei trägt den Titel "Tiefland, Obsession". Und das ist die Geschichte eines Leni-Riefenstahl-Films, basierend auf einem Opernstoff von Eugen d'Albert, gedreht während der Nazi-Zeit im bayrischen Karwendelgebirge.

Ein kitschiges Bauern- und Zigeunermelodram, an dem auch der spätere Karl-May-Verfilmer Harald Reinl und der viel verehrte Bernhard Minetti mitgewirkt haben. Zwangsweise mitwirken mussten - und das ist die wahre Geschichte jenes Streifens, der erst nach dem Zweiten Weltkrieg erstmals gezeigt wurde und auch beim Filmfestival in Cannes zu sehen war - zwangsverpflichtet also wurden inhaftierte und internierte Roma und Sinti. Erwachsene und Kinder, von denen viele nach den Dreharbeiten in den Vernichtungslagern der Nazis umgekommen sind.

Werner Kofler erzählt diese verdrängte Filmgeschichte in einer kunstvollen Prosa mit dialogischen Elementen. Aus einer "Obsession", wie der Text ja im Untertitel heißt, entsteht so eine traurig-wütende Anklage, ein literarisches Denkmal für die verfolgten und geschundenen Komparsen eines nationalsozialistischen Schmachtfetzens auf Celluloid.

Allmacht und Ohnmacht

Während Kofler im ersten Text des neuen Buchs, in "Zu spät", unter anderem an sein vielgelobtes Frühwerk "Guggile" anknüpft, setzt er bei "Tiefland, Obsession" jene Auseinandersetzung mit der österreichischen Nazi-Geschichte fort, die er schon in seinem Theaterstück "Tanzcafe Treblinka" und in den "Mutmaßungen über die Königin der Nacht", ein Ende der 1980er Jahre erschienenes Prosastück über die Schicksale von Darstellern und Darstellerinnen der "Zauberflöte" während des Zweiten Weltkriegs, auf beklemmend-schockierende Weise geführt hat.

Wieder ist es dieses Wechselspiel zwischen Allmacht und Ohnmacht, das Werner Koflers neues Buch prägt: Im ersten Text die allmächtigen Rache- und Mordphantasien des Ich-Erzählers, im zweiten Text die ohnmächtige Wut des Chronisten angesichts der mörderischen Geschichte und der Verbrechen der Nazis.

"Zu spät" - das ist ein höchst lesenswertes, schmales Buch von Werner Kofler. Zu hoffen ist nun, dass die damit begonnene Zusammenarbeit von Kofler und dem Wiener Sonderzahl Verlag weitere Früchte trägt - auch in Hinblick auf eine längst fällige Gesamtausgabe der Werke eines Autors, der die österreichische Gegenwartsliteratur maßgeblich geprägt hat und weiter prägen wird.

Service

Werner Kofler, "Zu spät", Sonderzahl Verlag

Sonderzahl Verlag - Zu spät