Spaniens Angst vor französischen Zuständen
Vorzeigeland bei der Roma-Integration?
Rund 700.000 Roma leben in Spanien. Die Gitanos, wie sie sich selbst bezeichnen, sind nach Jahrzehnten der Diskriminierung auf dem Weg zur Integration. Die bekanntesten Gitanos haben als Flamenco-Sänger oder Tänzer Starruhm erlangt.
8. April 2017, 21:58
In der Mehrzahl haben Gitanos einen festen Wohnort, sie leben von Entrümpelungen und dem Recycling alter Haushaltsgeräte. Mit der Zuwanderung von geschätzten 50.000 Roma, die in den letzten Jahren aus Osteuropa zugewandert sind und zumeist in Zelten oder Hütten wohnen, stellt sich die Frage des Zusammenlebens mit den Gitanos neu.
Keine Zukunft in Rumänien
Zwischen Stadtautobahnen, im Schutz von Brücken und in der Nähe von wilden Müllhalden entstehen in Madrid neue Elendsquartiere. Aus dem Schutt von Abbruchruinen haben innerhalb der vergangenen Monate vor allem osteuropäische Roma Notunterkünfte errichtet, die kaum Schutz vor der Kälte bieten. Über die Zahl der eingereisten Roma gibt es nur Schätzungen, die Behörden sprechen von 50.000.
Die Bewohner der Baracken erzählen von mangelnden Zukunftsaussichten in ihrer Heimat, aber auch von der Diskriminierung der Roma in Rumänien. "Es gibt für uns in der Heimat keinerlei Möglichkeiten, eine Arbeit zu bekommen", erzählt Robert. "Daher habe ich alles daran gesetzt, dass wir nach Madrid kommen."
Prekäre Lebensbedingungen
Die Lebensbedingungen, die Robert und seine Angehörigen in Spanien vorfanden, sind nicht viel besser, als in Rumänien. Sie müssen in Wohnwägen oder Notquartieren hausen, ohne Strom und ohne fließendes Wasser: "Wir brauchen Kleider, Essen, Baumaterial", sagt Robert. "Das fließende Wasser wurde uns einfach abgedreht. Und wir brauchen einen befahrbaren Weg, um bis zu unseren Häusern fahren zu können."
Trotz der Schwierigkeiten, ein Auskommen zu finden, denkt niemand daran, freiwillig nach Rumänien zurückzukehren: "Wir wollen nicht mehr zurück nach Rumänien, dort gibt es für uns keinen Platz. Als Roma müssen wir an den Straßenkreuzungen für 30 oder 40 Euro im Monat betteln und damit verhungert man in Rumänien."
Kampf gegen Vorurteile
Für die spanischen Roma, die sich Gitanos nennen, hat sich die Lebenssituation in den letzten Jahren zwar deutlich verbessert: Mit dem Ende der Franco-Diktatur wurden die Rechte der Minderheit in der Verfassung festgeschrieben. Dank kommunaler Wohnbauprogramme sind die Elendssiedlungen der Gitanos in den Außenbezirken der Großstädte verschwunden. Die Mehrzahl der Familien hat einen festen Wohnsitz und schickt die Kinder zur Schule.
Dennoch sind die Gitanos eine Minderheit geblieben, die gegen Benachteiligung und Vorurteile kämpfen muss: Jugendliche haben geringere Zukunftsperspektiven, als ihre Altersgenossen, nur ein Fünftel erreicht den Pflichtschulabschluss. Nur ein Prozent schafft es bis zur Universität.
Zankapfel der Parteien
Jetzt stehen die osteuropäischen Roma im Mittelpunkt der Kampagne für die katalanischen Landtagswahlen: Bettelnde Kinder, die an Straßenkreuzungen die Windschutzscheiben der Autos putzen, sind zum Sicherheitsrisiko erklärt worden.
In Badalona, einer Industriestadt nördlich von Barcelona sind 400 zugewanderte Rumänen zum Zankapfel der Parteien geworden. "Die rumänischen Familien befürchten, hier könnte ähnliches wie in Frankreich passieren", sagt der Sozialarbeiter Luis Vila. "Viele Nachbarn, die durch die zunehmenden sozialen Spannungen und Konflikte im Bezirk verunsichert sind, fühlen sich bestätigt und machen ihrem Ärger über die Ausländer öffentlich Luft."
Und nach dem Wahlkampf?
Wirtschaftskrise und Zukunftsängste machen die Roma zur Zielscheibe von Angriffen. Mit ausländerfeindlichen Parolen versuchen radikale Politiker aus der wachsenden Unsicherheit der Bevölkerung Kapital zu schlagen - nicht nur im Wahlkampf in Katalonien.
Die spanischen Gitanos, die nach der gesetzlichen Gleichstellung auch ihre soziale Integration fordern, könnten zu Verlierern im Streit um die zugewanderten Roma werden.