Konrad Paul Liessmann über das Alltägliche

Das Universum der Dinge

"Alles ist da. Wie nichts sonst auf dieser Welt haben sich die Dinge vor dem Menschen ausgebreitet, stehen ihm zur Verfügung, harren ihrer Aneignung, ihres Gebrauchs und ihrer Entsorgung". (Konrad Paul Liessmann)

Unser Verhältnis zu den Dingen

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann macht sich in seinem aktuellen Buch "Das Universum der Dinge – Zur Ästhetik des Alltäglichen" Gedanken über den Zustand unserer kapitalistischen Gesellschaft, unserer Beziehung zu den Dingen. "Einst schuf man mit den eigenen Händen die Dinge, die zum Leben notwendig waren. Schneider, Schlächter, Schmiede und Gerber arbeiteten um die Ecke, waren sichtbar und hörbar", schreibt Liessmann. "Dann brachten Mechanisierung und Industrialisierung zuerst das Handwerk zum Verschwinden, später zogen die Fabriken weg".

"In der heutigen Gesellschaft bewirken Automatisierung und Globalisierung, dass niemand mehr weiß, wie die Dinge unseres täglichen Bedarfs zustande kommen. Wer hat sie wie erzeugt, aus welchen Materialien bestehen sie und was geschieht mit ihnen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden? Darüber bestünden zwar vage Vorstellungen, so genau wolle das aber niemand wissen, um das lustbetonte Verhältnis zu den Dingen nicht zu belasten", meint Liessmann. Er stellt damit die These auf, dass unser Verhältnis zu den Dingen vor allem ästhetisch geprägt ist. Wir nehmen sie wahr, erfreuen uns an ihnen, wollen sie gebrauchen, besitzen.

Ästhetische Wahrnehmung des Alltäglichen

Der Ausgangspunkt Liessmanns philosophischer Betrachtung des Universums der Dinge war, dass sich unser Reichtum daran misst, wie viele Dinge wir herstellen, uns aneignen, konsumieren können. Mit dem Verlust um das Wissen über die Herkunft und den Verbleib der Dinge haben wir auch den Bezug zu ihnen verloren. Was noch kein Ding ist, wird zu einem gemacht. Etwa Dienstleitungen, Emotionen, Gefühle oder ganz konkret ein gutes Gewissen. Was früher das Resultat einer moralischen Haltung war, kann man heute in Form von "Fair Trade"-Produkten kaufen.

Im Detail hat sich Liessmann in dem Buch Fragen gewidmet, die mit einigen ausgewählten Dingen zusammenhängen. Zum Beispiel, wie nehmen wir unsere Welt ästhetisch wahr, etwa, wenn wir durch eine Straße schlendern, Häuser betrachten. Welche ästhetischen Urteile fällen wir in dieser alltäglichen Situation? Oder was bedeutet es, sich mit Dingen wie Fitnessgeräten zu umgeben, den Körper selbst als Ding zu betrachten, der damit trainiert, geformt wird? Oder Geld, das Ding an sich, wie es Liessmann nennt, das stellvertretend für alle Dinge steht und mit dem man theoretisch alle Dinge erwerben kann?

Verdinglichung und Selbstverdinglichung

Dinge können nur noch durch andere Dinge ersetzt werden und Liessmann fragt:

Schneidet uns diese "Ding-Welt", auf die wir uns eingelassen haben, nicht von anderen Erfahrungsmöglichkeiten ab? Was entgeht jemandem, der stundenlang am Ergometer sitzt, gegenüber demjenigen, der auf einem Rad durch die Landschaft fährt? Der sieht, der riecht, der hört, der fühlt. Oder, was bedeutet es zum Beispiel, dass wir uns mit Schönheitsidealen aller Art umgeben, was an sich schon ein Ausdruck von "Verdinglichung und Selbstverdinglichung" ist. Dass verzweifelt versucht wird, digital retuschierten Bildern vermeintlich schöner Menschen nachzueifern und dass operative Eingriffe nicht gescheut werden um einem Modell zu entsprechen, das selbst Resultat künstlicher Bearbeitung ist.

Solche Fragen in einem Buch zu behandeln, war für Liessmann vor allem eine Gelegenheit, sich auf eine durchaus lustvolle Weise mit Dingen auseinanderzusetzen, die in seinem Leben eine Rolle spielen, und Überlegungen mit der einen oder anderen philosophischen Theorie in Verbindung zu bringen. Hatte doch die Philosophie seit je her ein äußerst ambivalentes Verhältnis zu Dingen - schwankend zwischen Faszination und Abscheu.

So meint Liessmann, die These des Sozialphilosophen Günter Anders, der Mensch sei eine antiquierte Kategorie, weil er gegenüber den perfekten Dingen zurücktreten muss, die er selbst geschaffen hat, gewinne jedes Jahr in dem Maße an Aktualität, in dem Computer, Handys oder automatisierte Haushalte an Bedeutung gewinnen.

Service

Konrad Paul Liessmann, "Das Universum der Dinge – Zur Ästhetik des Alltäglichen", Zsolnay Verlag

Am Mittwoch, den 10. November 2010, liest Konrad Paul Liessmann in der Wiener Albertina aus dem Buch vor.

Hanser Verlage - Konrad Paul Liessmann
Albertina

Übersicht

  • Philosophie