Den Sozialismus verarbeiten

Fotografie in Bratislava

Sein 20-jähriges Bestehen feiert das Festival Monat der Fotografie derzeit in Bratislava. Über 30 Gruppen- und Einzelausstellungen gibt es heuer. Auch etablierte Künstler sind vertreten und angereist: der britische Künstler und Kuriositäten-Sammler Martin Parr etwa, der Magnum-Fotograf Chien-Chi Chang aus Taiwan oder auch Malick Sidibé aus Mali, einer der bekanntesten Fotokünstler Afrikas.

Kulturjournal, 12.11.2010

Vernissagenmarathon

In den Eröffnungstagen finden die Vernissagen im Stundentakt statt - die meisten Ausstellungen sind in der Altstadt von Bratislava und daher zu Fuß erreichbar. In der Fußgängerzone sind einige Menschen schnellen Schritts mit einem Katalog in der Hand unterwegs - wenn man den Überblick verliert und vor einem falschen Haus landet, wird einem schnell Hilfe angeboten.

Die ganze Stadt, scheint es, weiß, dass der November der Monat der Fotografie ist. Es sei ein Festival, das sich durch eine offene und liberale Atmosphäre auszeichnet, sagt Aurel Hrabusicky, deshalb sei es auch stets gut besucht.

Leben im sozialistischen Bratislava

Aurel Hrabusicky ist Kurator für Fotografie in der Slowakischen Nationalgalerie. Für den Monat der Fotografie hat er eine Ausstellung mit Schwarz-Weiß-Bildern aus der Stadt Bratislava der 1950er Jahre. Es handelt sich um das Werk des Slowaken Ján Cifra, der 1959 sehr jung gestorben ist und sich als Kameramann bei Dokumentarfilmen verdient gemacht hat. Sein fotografisches Werk ist bislang unentdeckt gewesen, erzählt Aurel Hrabusicky:

"Diese Fotografien aus den Jahren 1955 bis 1957 zeigen das Leben in Bratislava, wie es im Sozialismus war und nicht, wie es dargestellt werden sollte. Sie entsprechen überhaupt nicht der sozialistischen Kunstdoktrin, sie waren zu kompromisslos, offen und frech, um öffentlich ausgestellt zu werden. Somit sind sie in der Versenkung verschwunden."

Ein Foto zeigt das Schaufenster eines Trödlers, in dem Heiligenstatuen stehen, aber auch Dekoration zum 1. Mai - das Sortiment, also religiöse Gegenstände und solche aus dem sozialistischen Alltag, steht für die Übergangszeit zum Stalinismus, erklärt der Kurator Aurel Hrabusicky.

Selbstsuche

Um die Slowakei der Gegenwart geht es in einer Ausstellung im Haus der Kultur, Dom Kultury, in Bratislava: "Nepokojné Médium" heißt die Überblicksschau slowakischer Fotografie der letzten Jahre, ein "fieberhaftes Medium". Gleich im Eingangsbereich geht es ums "Slowakisch-sein", also: Was zeichnet die slowakische Gesellschaft aus? Porträts schüchterner Teenager sind zu sehen, Fotos von Standesamtshandlungen in sterilen Behördenräumen, oder auch Hochglanzbilder von "Zigeunern auf schön". So nennt Symon Kliman seine Bilder, für die er Roma in Festtagskleidung im Stile von inszenierter Studiofotografie abgelichtet hat. Auch diese Menschen gehören zur slowakischen Gesellschaft.

Die Suche nach einer nationalen Identität, erklärt der Kurator Václav Macek, hat in der Slowakei in den letzten Jahren historisch bedingt Änderungen erfahren: "In den 1990er Jahren, nachdem sich die Slowakei von Tschechien getrennt hatte und ein eigenständiger Staat wurde, ging es vor allem darum, Unterschiede zu den Tschechen herauszuarbeiten, zu betonen, dass wir anders sind. Mir scheint, die junge Generation interessiert sich weniger für die Frage, was Slowakisch-sein bedeutet, als für ihre eigene, persönliche Identität."

Belgrad in Bildern

Vaclav Macek ist Leiter des Monats der Fotografie in Bratislava. In den Eröffnungstagen eilt er zwischen den verschiedenen Standorten herum, zu jeder einzelnen Ausstellung spricht er einleitende Worte. Er sei gut trainiert, meint Macek, schließlich mache er das schon lange. Er betritt eine Kirche, in der gerade einige Leute mit der Installation einer Ausstellung beschäftigt sind. "Neue Bilder von Belgrad" heißt sie und stellt zehn Künstler unterschiedlicher Generationen vor, erklärt die Kuratorin Estela Bjelica.

Die serbischen Fotografen porträtieren die Stadt Belgrad auf ganz unterschiedliche Weise, es lasse sich daher keine allgemeine Tendenz ablesen. Schwarz-Weiß-Bilder von leeren Straßen sind zu sehen, aber auch knallige Clubfotografie. Es war Estela Bjelica wichtig, diese stilistische und inhaltliche Vielfalt in Bratislava zu zeigen, denn hierher, meint sie, blickt jetzt die Fachwelt:

"Das Festival in Bratislava hat wirklich einen sehr guten Ruf. Das liegt wohl an der starken Foto-Tradition in der Slowakei und Tschechien. Außerdem sind die Organisatoren mit ganzem Herzen dahinter - das merkt man als Besucher. Stars kommen hierher, ebenso wie man neue Künstler entdecken kann. Natürlich erreicht man in Bratislava nicht die Besucherzahlen von Paris, aber beide Städte arbeiten fast auf dem gleichen qualitativen Niveau."

Wien ist uneins

"Um in Wien diese Dichte an Ausstellungen und Veranstaltungen zu erreichen", so Vaclac Macek, "müssten sich alle großen Institutionen dem Monat der Fotografie anschließen. Dass bei uns etwa die Nationalgalerie und das Stadtmuseum mitmachen, hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt - und es steigert die Akzeptanz und Bekanntheit des Monats der Fotografie." Noch bis Ende des Monats sind die Ausstellungen geöffnet.