Blick durch das "quadratische Ding "

Jürgen Teller über die Kamera

"Eine Begegnung ist etwas Interessantes: Du kommst auf eine ganz schnelle und komische Art und Weise unheimlich intim an jemand ran. Das ist oft ganz unwahrscheinlich, sowohl von meiner Seite wie auch vonseiten des Subjekts her." Der Fotograf Juergen Teller.

Jürgen Teller, Fotograf

"Diese Kamera ist das Werkzeug, mit dem ich mich am besten ausdrücken kann."

"Abenteuer" Fotografie

Nah dran, ehrlich und authentisch, so sind auch die Bilder des Künstlers. Das Supermodel Kristen McMenamy zeigte er 1996 ungeschminkt, unbekleidet und mit fleckiger Haut vor einem Heizkörper kauernd. Die Schauspielerin Hellen Mirren legte sich für ihn in die Badewanne; Victoria Beckham steckte er sinnigerweise in ein Einkaufssackerl, und Schönheitsikonen wie Kate Moss oder Claudia Schiffer offenbarten ihm - und der Welt - Hautunreinheiten und Narben. Seine Foto-Shootings seien mehr als bloße Arbeits-Meetings, sie seien Begegnungen im ganz ursprünglichen Sinn, sagt Jürgen Teller.

"Das hat einerseits mit Vanity, mit Eitelkeit, zu tun, und dann ist das ein Abenteuer, auf das man eingeht, das macht mir Spaß - und den Leuten, die ich fotografiere, auch. Aber mir liegt auch viel daran, eine Person nicht nur einmal zu fotografieren, sondern ich schließe Freundschaft mit einigen Leuten, die ich jahrelang immer wieder fotografiere. Man kann ja nicht wie blöd immer nur herum fotografieren, sondern man geht Abendessen und spricht über etwas, man geht zusammen irgendwo hin und da passiert irgendetwas, man lebt zusammen, das ist das Wichtigste. Es geht ja um Einflüsse im Leben."

Visuelles Verstehen

Jürgen Teller, gebürtiger Bayer, ging mit 22 Jahren, nach einem kurzen Fotografiestudium, nach London, wo er bald für renommierte Zeitgeist-Magazine wie "ID" oder "Face", sowie für Designer wie Helmut Lang, Marc Jacobs und Calvin Klein arbeitete. Als typischer Modefotograf verstand Teller sich allerdings nie. Zu Recht, denn schließlich haben ihn längst auch namhafte Museen in aller Welt als Künstler entdeckt und zu Ausstellungen eingeladen; Björk oder Elton John ließen sich von ihm ihre Plattencover gestalten.

Eine Auswahl seiner Werke, die für das deutsche "Zeit-Magazin" entstanden, zeigt übrigens derzeit die Wiener Galerie Christine König. "Ich verstehe die Welt visuell", sagt Jürgen Teller. Zum ersten Mal wurde ihm das als Jugendlicher auf einer Ferienreise bewusst.

Die Welt zeigen, wie sie ist

"Ich bin im Urlaub mit meinem Cousin nach Italien gefahren, der war ein enthusiastischer Hobbyfotograf und hat immer irgendetwas fotografiert. Ich dachte: 'Was macht denn der die ganz Zeit, das schaut ja alles völlig langweilig aus' - bis ich dann einmal auch da durchgeschaut habe. Ich habe also durch dieses quadratische Ding geschaut und mir sofort gedacht: 'That's what I wanna do - das will ich jetzt machen!' Ich habe so ein komisches Gefühl gehabt, dass ich, als ich da durchgeschaut habe, zum ersten Mal bewusst etwas gesehen habe, und vorher einfach so durch die Gegend gelatscht bin und das alles nicht bewusst gesehen habe."

Die Welt kann durch eine Kamera vermittelt und damit erst so gezeigt werden, wie sie wirklich ist, das war Jürgen Tellers Erkenntnis. So begann der Fotograf, den Blick auf etwas zu lenken, was mit bloßen Augen womöglich nicht erkennbar ist. Nicht jene Schönheit, wie sie etwa die hochglanzpolierte Lifestyleszene anpries, wollte er zeigen, sondern die nackte, die ungeschminkte Schönheit, die sich nur ungekünstelt offenbart. Grundlage für Tellers künstlerische Arbeit ist stets seine persönliche Beziehung zu den Porträtierten.

"Ich hatte einmal einen Auftrag vom Zeitungsmagazin der 'Süddeutschen'. Die Aufgabenstellung war 'Mode und Moral', und da hab ich Kristen McMenamy fotografiert, die ich gut kannte, wir waren befreundet, und die ist sehr extrovertiert. Wir haben also angefangen, die Sache zu machen, die wir wirklich machen wollten und haben die Mode links legen lassen und mehr oder weniger Nacktaufnahmen, also Nudes gemacht ('Nacktaufnahmen' klingt so blöd). Das war ganz intuitiv von beiden, und da hab ich mir gedacht: 'Diese Kamera ist das Werkzeug, mit dem ich mich am besten ausdrücken kann; und zwar diese ganze Situation mit dem Blitz obendrauf, die Kompaktkamera und der Prozess, in dem ich an die Sache ran gekommen bin, da hab ich mir zum ersten Mal gedacht: 'Das war jetzt gut.'"

Den Fotografierten "Platz zum Atmen" lassen

"Ich glaube, die Leute spüren, dass ich selber offen bin - und deswegen öffnen auch sie sich. Ich sage auch ganz offen: 'Ich weiß jetzt auch nicht, wie wir das machen' oder: 'Was können wir da machen?' Oder 'Hören wir mal auf, was zu machen und trinken einen Kaffee'. Oder aber ich weiß ganz genau, was ich machen will, aber ich überlasse das den Leuten, ich glaube, ich lass denen Platz zum atmen, ich gebe denen die Freiheit, so zu sein, wie sie sind. Ich habe nämlich Lust am Leben, es soll etwas passieren, es ist außerdem wichtig, dass man auf eine Reise mit den Leuten geht."

1991 lernte Teller Kurt Cobain kennen. Kurz bevor das Album "Nevermind" erschien und Cobains Band Nirvana noch als Insidertipp galt. Der Fotograf begleitete die Musiker auf ihrer ersten Deutschland-Tournee und es entstanden einzigartige Bilder der Band, die Tellers Ruf begründeten. Am meisten beeindruckte den Fotografen, dass die Bandmitglieder genau das taten, was sie wollten - nämlich unbeschreiblich gute Musik machen. Er schätze Leute, so Teller, die unbeirrt ihren Weg gehen. Ob Charlotte Rampling, PJ Harvey oder Willem Eggleston, der Pionier der künstlerischen Farbfotografie. Mit Letzterem verbinde ihn eine Seelenverwandtschaft, erzählt Jürgen Teller. Eggleston sei so, wie er selbst gern wäre:

"Der war so extrem, dass er sich an keine Konventionen hielt, ob Montag oder Freitag, Tag oder Nacht war, das war ihm völlig egal. Er ist irgendwann eingeschlafen und irgendwann aufgewacht, egal, ob Nacht oder Tag war - völlig egal. Er hat seine eigenen Regeln aufgestellt, und das hat mich schwerstens beeindruckt und darin bestärkt, keine kommerzielle Fotografie zu machen, sondern einfach nur das zu tun, wozu ich Lust habe."

Unheimliche Begegnung der O. J. Art

Jede Aufnahme erzählt eine Geschichte, jede Begegnung ist bleibend auf ihre Art. An die Begegnung mit O. J. Simpson, dem ehemaligen US-Footballstar und mutmaßlichen Mörder, erinnert sich Teller mit gemischten Gefühlen. Er wählte zwei Kameras für die zwiespältige Persönlichkeit.

"Zuerst habe ich mich gefragt, ob ich so einen Menschen überhaupt kennenlernen will, aber dann war ich doch zu neugierig und war also in Miami in diesem Hotel. Und ich hab dann gedacht, es findet sowieso nicht statt, weil er vier Stunden zu spät war. Ich dachte, ich muss wieder heimfliegen, da passiert jetzt nichts - und plötzlich ist er gekommen und ich habe ihn fotografiert. Er war richtig schizophren, einerseits war er unheimlich nett, und dann so 'on edge', irgendwie einschüchternd. Er war ein Riesenbär, es war mir ziemlich mulmig. Ich habe mit zwei Kameras fotografiert – die eine in der einen Hand, und die andere in der anderen Hand. Und dann sagt der plötzlich mitten im Gespräch: 'So - Jürgen, who do you think who has done it?' Wer hat das gemacht? Und ich bin völlig nervös geworden und hab angefangen zu schwitzen und habe gesagt: 'O. J., jetzt bleib mal so, das schaut gut aus, ich mach jetzt mal Fotos' - und plötzlich ist auf einer Kamera die Rolle fertig und ich hab mich hinter der anderen Kamera versteckt und die eine weggelegt und gesagt: 'O. J. - ich war ja nicht dabei, keine Ahnung, wer es war.' Dann sagt er und schmeißt seinen Oberkörper im Sitzen zurück und nimmt die Arme ganz weit auseinander und den Kopf streckt er in den Himmel: 'Only God knows.' Nur Gott weiß es. Da wurde es mir derartig mulmig; dann war es aber auch Zeit, so schnell wie möglich wegzugehen."