Geschichten von Bernhard Schlink

Sommerlügen

Sieben Erzählungen finden sich im neuen Buch von Bernhard Schlink mit dem Titel "Sommerlügen". Und um Lügen geht es auch, um Lebenslügen, um familiäre Lügen, um Lügen, die sich hinter einer gut gepolsterten und scheinbar heilen Welt verbergen.

"Ich habe den Titel 'Sommerlügen' gewählt, weil es Lügen sind, die in Situationen - und zufällig sind es nun meistens Sommersituationen - benutzt werden", so der Autor, "unter denen sich aber doch ein Thema der Lebenslüge verbirgt: Mit welchen Wahrheiten kann ich leben, mit welchen Wahrheiten kann ich nicht leben, was muss ich mir zurechtlegen und zurechtlügen, um damit umgehen und damit weiterleben zu können, das ist das Thema der Geschichten."

Die sich durchs Leben lavieren

Und so versuchen Schlinks Figuren, sich mit ihren Lügen durch die Welt zu lavieren - und müssen damit in den meisten Fällen scheitern. So wie der Theaterautor, der mit einer alten Freundin zur Premiere seines ersten Stücks nach Baden-Baden reist und vergeblich hofft, dass seine Lebensgefährtin nichts davon erfährt.

Oder wie der Schriftsteller, der sich mit Frau und Tochter in ein Haus im Wald zurückzieht und dieses einsame Dasein um jeden Preis erhalten möchte - so sehr, dass er, als seine Frau den National Book Award bekommen soll, ihr dies mit allen Mitteln zu verheimlichen sucht.

Oder auch wie der alte und todkranke Mann, der seine Familie ein letztes Mal um sich versammeln möchte, um dann heimlich mit einem sorgsam zusammengemischten Cocktail aus dem Leben zu scheiden.

Die Idee des letzten gemeinsamen Sommers, seines letzten Sommers, war die Idee eines letzten gemeinsamen Glücks. Es hatte nicht viel Überredung gebraucht, dass seine beiden Kinder mit ihren Familien für vier Wochen ins Haus an den See kamen, aber doch ein bisschen. Er hatte auch seine Frau ein bisschen überreden müssen; sie wäre lieber mit ihm nach Norwegen gefahren, von wo ihre Großmutter stammte und wo sie noch nie gewesen waren. Jetzt hatte er seine Familie beisammen, und auch sein alter Freund würde für ein paar Tage zu Besuch kommen. Er hatte gedacht, er hätte das letzte gemeinsame Glück gut vorbereitet. Jetzt fragte er sich, ob er wieder nur die Zutaten für ein Zutaten-Glück versammelt hatte.

Zaudernde Schritte

Sehr behutsam dringt Bernhard Schlink in diese zart gesponnenen Lügengewebe seiner Figuren ein. Sie alle stehen vor einer Zäsur in ihrem Leben, sie zaudern und lügen, um den nächsten Schritt hinauszuzögern und das wird in der ersten Geschichte besonders deutlich, in der ein Orchestermusiker im Urlaub eine Beziehung mit einer wohlhabenden Frau beginnt. Sein Glück scheint perfekt, aber kaum ist er wieder daheim, stellt er plötzlich fest, dass er gar nicht willens ist, sein altes Leben aufzugeben.

"Ich habe das selbst immer wieder erlebt, dass ein Schritt, selbst wenn es ein Schritt war, von dem ich überzeugt war, er geht in die richtige Richtung, mir doch nicht leicht gefallen ist", stellt Schlink fest, "und gelegentlich habe ich auch den Schritt nicht gemacht, obwohl ich wusste, er wäre richtig gewesen, und ich beobachte Ähnliches bei anderen. Ich denke, das ist ein allgemeines Problem. Dem Leben eine neue Wendung zu geben - manchmal fällt es einem ganz leicht, aber manchmal fällt es einem schwer, obwohl man weiß, es wäre richtig."

Freude am Erzählen

Es sind kleine, anmutige Geschichten, die Bernhard Schlink in seinem Band versammelt hat, Geschichten, in denen immer etwas Ungesagtes mitschwingt. Das Glück ist nie vollkommen, wird ständig von den Ängsten der Figuren unterwandert, aber der Versuch, es mit Hilfe von Lügen und Halbwahrheiten zu bewahren, ist ebenfalls zum Scheitern verurteilt.

Schlink erzählt routiniert und gefällig, seine Sprache ist glatt und ohne Kanten und man spürt in den Texten seine eigene Freude am Erzählen.

"Ich trage meine Geschichten immer ganz lange mit mir rum", sagt er. "Ich spiele mit ihnen, ich verändere sie, manche verwerfe ich auch wieder, und wenn es dann ans Schreiben geht, macht mir das Schreiben eigentlich keine Mühe mehr. Da hat die Geschichte im Kopf ihre Gestalt gefunden und kann, fast möchte ich sagen: will dann auch geschrieben werden. Und dieses Schreiben ist dann eigentlich mehr eine Freude als alles andere. Weil das, was im Kopf doch seine Gestalt schon gefunden hat, nun auch seine Gestalt in den Worten, in den Sätzen, in den Kapiteln findet."

"Wie ein kleines Schmuckstück"

Diese Leichtigkeit überträgt sich auch auf den Leser: Man liest sie gerne, diese kleinen Geschichten, sie präsentieren sich charmant und freundlich und auch wenn sie vielleicht keinen großen Nachhall hinterlassen, so sind sie doch in sich stimmig genug, um zu überzeugen. Schlink selbst vergleicht seine Arbeit an seinen Erzählungen mit jener eines Juweliers:

"Manchmal dachte ich, das Schreiben einer Kurzgeschichte ist wie das Arbeiten an einem kleinen Schmuckstück. Während das Schreiben eines Romans das Arbeiten an einem großen Gemälde ist. Und auch bei einem Roman überlege ich mir jeden Satz und jedes Wort, natürlich, wie sollte es auch anders sein, und trotzdem gibt es bei der Geschichte ständig den Blick aufs Ganze - wenn ich mir vorstelle, ein Juwelier hat einen Blick auf das kleine Schmuckstück, das er da macht, und das ist ein Unterschied."

Wie viel Welt braucht der Mensch?

In gewisser Weise hat Bernhard Schlink auch seine eigenen Befürchtungen und Hoffnungen verarbeitet, hat sich mit der Frage befasst, wie viel Welt man braucht und wie viel man verträgt, und inwieweit eine Lüge zum Erhalt dieser Welt beitragen kann. Erneut erweist sich Schlink als genauer Beobachter und präziser Erzähler, der die inneren Konflikte seiner Charaktere in einer klaren und schnörkellosen Sprache nachvollziehbar macht.

Und welche seiner Geschichten hat er persönlich am liebsten? Das, meint Bernhard Schlink, werde er wohl erst in ein paar Jahren sagen können: "Ich mag meine Geschichten alle, und vielleicht geht es mir aus dem Abstand mehrerer Jahre mal so, dass ich sagen kann, ach das ist doch meine Lieblingsgeschichte, aber jetzt, ein Jahr nachdem ich sie abgeschlossen habe, kann ich das nicht sagen."

Service

Bernhard Schlink, "Sommerlügen", Diogenes Verlag

Diogenes - Bernhard Schlink