"Ausschaffungsinitiative" folgt "Minarett-Verbot"

Umstrittenes Schweizer Referendum

Am 28. November entscheiden die Stimmbürger über eine Volksinitiative der rechtskonservativen SVP. Diese will, dass künftig kriminelle Ausländer bei bestimmten Vergehen wie Kindesmissbrauch aber auch Sozialhilfebetrug automatisch aus dem Land gewiesen werden.

Unhaltbare Zustände?

Glaubt man den Plakaten der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei, die auf den Werbeflächen und an den Hauswänden im ganzen Land prangen, ist die Eidgenossenschaft ein Hort von Verbrechern. Da wird auf den längst berühmt-berüchtigten Schafplakaten ein schwarzes Schaf aus dem Land geworfen, andere Plakate zeigen einen Schwerverbrecher, der - so behauptet die SVP- wegen der einheimischen Kuscheljustiz eher den Schweizer Pass erhält, als dass er des Landes verwiesen wird.

Unhaltbare Zustände, schimpft Christoph Blocher, Volkstribun und Ex-Justizminister der Schweizerischen Volkspartei. Unermüdlich zieht er durchs Land und rührt in ausgebuchten Veranstaltungssälen vor seinen Anhängern die Werbetrommel für die sogenannte Ausschaffungsinitiative seiner Partei:

"Gefängnisstrafen sind keine Abschreckung für kriminelle Ausländer. Das einzige, was wirkt, ist die Ausweisung. Doch diese muss auch vollzogen werden, um abschreckend zu wirken, die Ausländer müssen sehen, dass verurteilte Straftäter auch tatsächlich heimgeschickt werden."

Der Applaus seiner Fans ist Christoph Blocher sicher. Ihre Zustimmung auch, wollen sie doch keine kriminellen Ausländer im Land haben, wie ein Besucher der Veranstaltung meint.

Automatische Ausweisung

Das Ausschaffungsvolksbegehren der SVP sieht vor, dass verurteilte kriminelle Ausländer automatisch ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz verlieren, wenn sie bestimmte Straftaten begangen haben. Dazu zählen Mord, Vergewaltigung und Raub. Auch Ausländer, die missbräuchlich Sozialhilfe bezogen haben, will die SVP abschieben.

Schon heute können schwer kriminelle Ausländer aus der Schweiz gewiesen werden. Doch die Justiz vollziehe diese Abschiebungen zu wenig konsequent, meint SVP-Chefstratege Blocher, und bemängelt, dass die Schweiz kein sicheres Land mehr sei, sich viele Menschen abends nicht mehr auf die Straße trauen würden.

Gemäßigter Gegenvorschlag

Statt derzeit rund 400 verurteilten kriminellen Ausländern würden künftig 1.500 pro Jahr die Schweiz verlassen müssen, verspricht die SVP. Doch die automatische Ausweisung von kriminellen Ausländern ohne Prüfung des jeweiligen Einzelfalles steht in Konflikt mit dem Völkerrecht. Deshalb hat das Schweizer Parlament einen Gegenvorschlag ausgearbeitet, über den Stimmbürgern ebenfalls abstimmen.

Auch dieser Vorschlag sieht eine konsequentere Abschiebung von kriminellen Ausländern vor, allerdings soll diese nicht automatisch geschehen, sondern erst nach der Prüfung, ob sie verhältnismäßig ist und internationalem Recht entspricht. Damit sei die Neuregelung auch tatsächlich umsetzbar, im Gegensatz zur Initiative der SVP, sagt der Parteichef der Christlichdemokratischen Volkspartei, Christophe Darbellay.

Gesetzeslage ausreichend

Unterstützt wird der Gegenvorschlag des Parlaments von der Regierung und den bürgerlichen Mitte-Parteien. Gänzlich gegen eine verschärfte Abschiebungspraxis bei straffälligen Ausländern sind eine Mehrheit der Sozialdemokraten und die Grünen. Sie lehnen sowohl das Volksbegehren der SVP als auch den gemäßigten Gegenvorschlag des Parlaments ab und bezeichnen die aktuelle Gesetzeslage als ausreichend.

Das findet auch der Rechtsanwalt und Experte für Ausländerrecht, Marc Spescha: "Das geltende Recht ist sehr streng und von einer bürgerlichen Mehrheit vor weniger als drei Jahren in Kraft gesetzt worden. Das Bundesgericht hat in seiner Auslegung dieser Bestimmung definiert, dass eine Strafe von mehr als einem Jahr Gefängnis bereits als längerfristig gilt und zum Entzug des Aufenthaltsrechts führen kann."

Doch diese Position findet bei den Schweizern wenig Gehör. Umfragen zeigen, dass das Abschiebungsvolksbegehren der SVP gute Chancen hat, von den Stimmbürgern angenommen zu werden. Die gemäßigte und völkerrechtskonforme Variante des Parlaments hingegen dürfte abgelehnt werden.

Was darf direkte Demokratie?

Unterdessen tobt eine heftige Grundsatz-Debatte über die in der Schweiz so ausgeprägte direkte Demokratie. Nach dem umstrittenen Minarett-Verbot, das die Schweizer vor einem Jahr gutgeheißen haben, steht nun wieder eine Abstimmung ins Haus, deren Inhalt Grundrechten widerspricht. Irgendwann könnte sowohl die automatische Ausweisung von straffälligen Ausländern als auch das Minarett-Verbot vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgehoben werden.

Der Wille der Bürger sei bei grundrechtswidrigen Anliegen gar nicht umsetzbar, betonen Politiker, Rechtsexperten und Intellektuelle, die sich nun in der sogenannten Landhausversammlung zusammengeschlossen haben. Diese Versammlung verlangt, dass die Stimmbürger nur mehr über Vorlagen entscheiden, die menschenrechtskonform sind.

Anders verliere die Volksdemokratie ihren Sinn, sagt der sozialdemokratische Nationalrats- und Europaratsabgeordnete Andreas Gross: Die Demokratie würde kaputt gehen, die direkte Demokratie ihre Güte und Legitimation verlieren, wenn sie missbraucht werden würde, damit die Mehrheit über Grundrechte von Minderheiten entscheiden könne.

Deshalb, so Gross, suche die Landhausversammlung nun nach Wegen, wie verhindert werden kann, dass die direkte Demokratie mit internationalem Recht in Konflikt kommt. Derzeit sind nur Volksbegehren unzulässig, die gegen das zwingende Völkerrecht verstoßen, wie etwa das Verbot von Folter und Völkermord. Künftig sollen Volksbegehren auch die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention respektieren müssen, meint Andreas Gross.

Schranken für Volksentscheide

Entsprechende Vorstöße sind bereits im Parlament anhängig, bald wird sich auch die Schweizer Regierung dazu äußern. Für heftige Proteste sorgt die mögliche Beschneidung der direkten Demokratie aber naturgemäß bei der Schweizerischen Volkspartei, dich sich stets rühmt, das Ohr beim Volk zu haben. Der Stimmbürger habe immer Recht, sagt SVP-Stratege Christoph Blocher und erteilt Bestrebungen, dieses einzuschränken, eine Absage - die SVP werde es nicht zulassen, dass die Stimme des Volkes ausgeschaltet werde.

Die Debatte darüber, ob das Stimmvolk alles entscheiden darf, oder sich auch an gewisse Schranken halten muss, ist heikel. Die ausgeprägte Volksdemokratie ist ein Grundpfeiler des helvetischen Bundesstaates. Letztlich können auch nur die Stimmbürger selbst darüber entscheiden, ob sie ihre Volksrechte internationalen Grundrechten unterordnen wollen. Ob und wann eine solche Entscheidung fällt, ist offen. Fest steht nur eines: Der Grat zwischen Volksherrschaft und der Achtung von Menschenrechten scheint immer schmaler zu werden.