Der musikalische Adventkalender öffnet seine Türen

Adventsingen mit Karl Ferdinand Kratzl

Mit grotesken Wienerliedern "zwischen Verachtung und Verrücktheit" stimmt sich der kauzige Kabarettist und Schauspieler Karl Ferdinand Kratzl auf den Advent ein: "Egal welche Geräusche man macht, der Mensch ist wichtiger als die Töne."

Unter dem Motto "Wienerlied - und?" öffnet auch heuer wieder der musikalische Adventkalender seine Türchen: 23 Konzerte in den 23 Wiener Bezirken huldigen dem Wienerlied in all seiner stilistischen und inhaltlichen Vielfalt: Karl Hodina, Roland Neuwirth, Die Strottern, Ernst Molden und viele mehr spielen in alteingesessenen Wiener Gasthäusern und Beisln. Karl Ferdinand Kratzl wird am 9. Dezember im 9. Bezirk im Gasthaus Lechner bisher unerhörte Facetten des Wienerischen zu Tage fördern. Begleitet werden seine Texte von Peter Havlicek (Kontragitarre), Karl Stirner (Zither) und Walther Soyka (Akkordeon).

Singen als Ventil

Adventlieder seien dem Wienerlied nicht unähnlich, so Kratzl, dessen Großvater übrigens "Das Glück ist ein Vogerl" komponierte. Da wie dort gehe es um verleugnete Gefühle, denen es Ausdruck zu verleihen gilt. Er selbst schaffte sich schon als Kind ein Ventil, indem er etwa lauthals Arien vor sich hin trällerte.

In der Volksschule wurde er dann allerdings von der Lehrerin vom Adventsingen verbannt. "Der brummt!", habe sie trocken festgestellt, worauf er auch bei anderen musikalischen Anlässen immer nur bloß den Mund auf und zu gemacht habe. Erst eine Begegnung mit der Sängerin und Kabarettistin Marie Thérèse Escribano habe ihm die Angst vor falschen Tönen wieder nehmen können: "Sie hat vieles lockern können in mir, einfach durch Großherzigkeit. Egal welche Geräusche man macht, der Mensch ist wichtiger als die Töne."

Große Erwartungen

Die emotionalen Verstimmungen, die sich bei so manchem gerade in der Vorweihnachtszeit auftun, haben ihre Ursache in den das ganze Jahr über aufgestauten Gefühlen, analysiert Kratzl. Im Advent brenne dann bei vielen die Sicherung durch: "Da spinnen alle, ich inklusive, und das liegt daran, dass viel zu viel erwartet wird, an Harmonie, Freundschaft und Geselligkeit. Das öffnet aber auch das Türl für die Unvernunft, also den Krampus. Mr. Hyde feiert sozusagen auch mit."

Nicht selten sind es einfach die Geschenke, die für Frustration sorgen. Der Wunsch, jemandem symbolisch mit einem Geschenk Freude zu machen, werde immer schwieriger zu erfüllen: "Was soll man noch schenken? Eine neue Hi-Fi-Anlage? Urlaub auf den Kapverden? Der Buchhandel lebt ja geradezu von Büchern, die geschenkt und nie gelesen werden. Aber am meisten stresst einen die Erwartung, dass da was Wunderbares passieren wird, einige warten ja sogar auf die Erlösung. Dabei steht die Nicht-Erlöstheit jedem ins Gesicht geschrieben."

Erlösende Gefühle

Ein wirklich herzliches Fest habe er einmal mit Obdachlosen in der Wiener "Gruft" erlebt, ein anderes Mal in einer psychiatrischen Anstalt. Dort müsse man sich für nichts genieren und könne den Befindlichkeiten freien Lauf lassen: "Die normale Feierlichkeit besteht darin, dass man versucht, nicht das zu spüren, was gerade passiert, sondern eben das, was sein soll. Und ich empfehle den anderen Weg, nämlich einfach alles zu spüren. Wie zwickt's in meinem Körper? Ist die Hose zu eng? Und auch was man denkt, das kann ruhig Unflätiges sein. Dann, glaube ich, könnte man zumindest zu sich selbst lieber sein und das könnte dann eventuell authentisch ausstrahlen."